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Kultur: Punkorchester

Die Philharmoniker spielen Magnus Lindbergs „Kraft“.

Der Drang, musikalische Werke biografisch zu deuten, in der Hoffnung, so verborgene Sinneinheiten zu heben, hat sich an Dvoráks Cellokonzert besonders heftig ausgetobt. Was wurde in das Stück nicht alles hineininterpretiert: Abschied von Amerika, Trauer um die verstorbene Schwägerin, wahlweise auch um Tschaikowsky. Auch eine verkappte Oper wollte man darin sehen. Daniel Müller-Schott, für Truls Mørk eingesprungen, schert sich in der Philharmonie wenig um solche Zuschreibungen: Er macht einfach sein Ding. Nach innen gerichtet, impressionistisch klingt das, als sei das Cellokonzert vor allem ein Stelldichein mit sich selbst.

Das geht nicht immer gut mit den Vorstellungen von Alan Gilbert am Pult der Berliner Philharmoniker zusammen. Der betont das Weitausschwingende, Landschaftliche. Wenn die hohen Streicher ansetzen, überfahren sie Müller- Schott einfach. Der glänzt dafür, wenn das Orchester im Pianissimo grummelt oder schweigt – oder in der Zugabe: der hochgestimmten und zugleich filigran gespielten Habanera von Ravel.

Umbaupause. Arbeiter installieren Mikrofone, eine Schlagwerk-Batterie: baumelndes Abflussrohr, leere Gasflasche, spacig aussehende Spiralen aus Metall, ein Wassereimer. 45 Minuten dauert das, länger als das nachfolgende Stück „Kraft“ von Magnus Lindberg (1985).

Ist das Ergebnis den Aufwand wert? Infernalisch fängt es an, mit zwei riesigen Gongs an beiden Enden des Saales. Dann entwickeln sich zittrige Klangflächen, die Metamorphosen durchlaufen, eine halbe Stunde lang. Lindberg hat das Stück in Berlin geschrieben, er setzt Objekte zur Klangerzeugung ein, die er in Hinterhöfen fand. Es ging dem Finnen darum, Alltagsgeräusche als Musik wahrnehmbar zu machen – ähnlich, und doch anders als Helmut Lachenmann. Hier bleibt das klassische Orchester, vor allem die Streicher, Basis des Klangs. Der aber wird selbst zum Objekt: roh, ungeschlacht, brodelnd. Er habe sich, erzählt Lindberg, vom Berliner Punk und den Einstürzenden Neubauten inspirieren lassen. Die Philharmonie wird zur Werkhalle, zur Industrieruine. Musik, die das Gehör durchwäscht. So schnell dürfte sich keiner mehr finden, der diesen Koloss aufführt. Noch einmal am heutigen Sonntag. Hingehen! Udo Badelt

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