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Maximilian Kirmse, Künstler, steht  in seiner Ausstellung „Berlin mon Amour“ in der Pinakothek der Moderne.

© Felix Hörhager

Potse, Nolli und Kotti zu Besuch in München: Das Laisser-faire Berlins

Ausgerechnet eine Ausstellung in München feiert die Lebensenergie der Spreemetropole – in den fein beobachteten Alltagsbildern des Berliner Malers Maximilian Kirmse und historischen Blättern bekannter Künstler.

„Berlin Mon Amour“ prangt in verschwommen Lettern am Eingang der Staatlichen Graphischen Sammlung. Daneben überziehen Buchstaben in Monstergröße eine Wand. Die zittrig gemalten Lettern leuchten weiß umschattet in knalligem Magenta auf schwarzem Grund. Darunter hängt das neueste Bild von Maximilian Kirmse.

Das Gemälde „Potse“ von Maximilian Kirmse.

© Foto: Jens Ziehe / (c) Maximilian Kirmse, Courtesy Haverkampf Leistenschneider, Berlin

Es heißt „Potse“ wie das legendäre autonome Berliner Jugendzentrum an der Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg, dem Kiez, in dem der Maler lebt. In großen Umrissen hat der 37-Jährige darauf ein paar herumlungernde Gestalten porträtiert. Sie lümmeln am Boden, zeigen die kalte Schulter oder den prallen Hintern und verschwinden im flirrend hingetupftem Farbmeer.

Motive von der Straße: „Truckerin“ von Maximilian Kirmse.

© Foto: SGSM / (c) Maximilian Kirmse

Von der Straße inspiriert

Der Künstler holt sich seine Motive von der Straße. Maximilian Kirmse stammt aus Berlin. Er wuchs in Lichtenberg auf und kehrte nach seinem Kunststudium in Leipzig und Düsseldorf in seine Heimatstadt zurück. Der Künstler zeichnet im Alltag, was er sieht - mal rotzig, schnell und pointiert mit Tusche und Bleistift, mal virtuos in Ölkreide mit stakkatoartigen kurzen Farbstrichen, in Close-ups und ungewohnten Perspektiven.

Viele Kompositionen wirken wie Capriccios der klassischen Moderne, einige Zeichnungen finden sich in ausgefeilter Peinture auf großen Leinwänden wieder. Stilistisch bedient sich Kirmse bei Symbolismus, Pointillismus und Impressionismus. Er verfremdet die alltäglichen Szenen so sehr, dass seine Gemälde fast zeitlos wirken.

Beim Sprayen erwischt: „Bust“ von Maximilian Kirmse.

© Foto: SGSM / (c) Maximilian Kirmse

Wären da nicht seine lockeren Wandmalereien im Graffitistil inmitten der Ausstellung. Oder Bildtitel wie „Co-Working-Space“, „Gym“, „Rollerkids“, Namen wie „Kufi“, „Kotti“ oder „Nolli“, die jedem Berliner als Abkürzungen für Straßen und Plätze geläufig sind, man könnte sich den Maler Maximilian Kirmse auch als Teil der Berliner Bohème vor rund hundert Jahren vorstellen. Seine Porträts der „Sexarbeiterin“, der „Truckerin“ oder des Hundebesitzers mit Spinnennetz-Tattoo auf der Wange im Bild „Park“ hätten auch Max Beckmann oder George Grosz gefallen.

Berlins Charme erlegen

Genau in dieser Tradition sieht auch Kurator Michael Hering den Maler Maximilian Kirmse. Für ihn gehört er in die Reihe der Künstler, „die durch das 20. Jahrhundert hindurch Berlins coolem Charme erlegen sind und wie er ein eigenes Ding mit der Stadt am Laufen hatten“.

„Emozioni“ von Maximilian Kirmse.

© Foto: SGSM / (c) Maximilian Kirmse

Hering hat daher Papierarbeiten von zwölf Künstlern und Künstlerinnen aus dem Museumsbestand vor die Ausstellung platziert, um ihn einzuordnen. Max Beckmanns Zeichnung „Abendliche Straße in Berlin“ (1914) etwa ist neben Ernst Ludwig Kirchners „Tänzerinnenpaar im Varieté“ (1911) zu bewundern, die farbige „Jakobstraße“ (1920) von George Grosz neben einer Strandszene am Wannsee von Jeanne Mammen aus den 1930ern.

Ein Mauerbild K.H. Hödickes von 1976 erinnert an die geteilte Stadt. Olaf Metzels Entwurfszeichnung von 1982 für seine Installation „Türkenwohnung 12.000 DM Abstand VB“ dokumentiert Probleme von damals und heute: Ausländerhass und Wohnungsnot. Auf der Skizze sieht man türkische Halbmonde auf dem Grundriss eines Hauses, das abgerissen werden sollte. Tatsächlich hatte Metzel ein Hakenkreuz in die Wand gemeißelt und die Wohnung damit in den Berliner Tageszeitungen zum Kauf angeboten – aus Protest gegen Immobilienspekulanten.

Zeichnen im Bürgeramt

Kirmses neue Serie „Bürgeramt“ dagegen dokumentiert ganz aktuellen Ärger der Großstädter. Auf die Idee dazu kam Maximilian Kirmse, als er einen neuen Personalausweis brauchte. Als er im Rathaus Spandau endlich einen Termin für den Antrag hatte, vertrieb er sich das Warten mit Zeichnen.

Auf den neuen Skizzen und Gemälden sieht man keine Menschen, nur ausgeschaltete Bildschirme, an die Wand geklebte Wegweiser, eine Karte der Berliner Bezirke und Fettflecken, die Besucher auf dem Putz hinterließen. Dias Ambiente fand der Künstler so reizvoll, dass er weitere Bürgerämter besuchte und dort vor Ort zeichnete.

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