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US-Autor Donald Westlake: Schreiben, um vergessen zu werden

Banken verdienen keine Tränen: Das letzte Gespräch mit US-Krimilegende Donald Westlake.

Mr. Westlake, haben Sie als Krimischriftsteller auch den Anspruch, etwas aufbewahren zu wollen?



Nein. Ich wollte nie die Zeiten überdauern. Ich bin sogar vom Gegenteil überzeugt: Die schlaueste Art, etwas in Vergessenheit geraten zu lassen, ist das Schreiben eines Buches. Es gibt so viele gute Schriftsteller, die sang- und klanglos verschwunden sind. Das erste Buch, das ich unter meinem Pseudonym Richard Stark veröffentlicht habe, erschien 1962 als Originalausgabe im Taschenbuch zum Preis von 25 Cent. Ich habe nicht einmal damit gerechnet, dass dieses Buch bis 1963 überdauert.

Welcher Ehrgeiz treibt Sie?

Lassen Sie mich das mit einer wahren Geschichte beantworten. Vor vielen Jahren bin ich in Manhattan mit einem befreundeten Schriftsteller spazieren gegangen. Es war heiß, und der Verkehr rollte so langsam, dass wir zu Fuß immer wieder einen im Stau neben uns herfahrenden Lastwagen überholten. Der Beifahrer vorn hatte sein Seitenfenster heruntergekurbelt und las ein Taschenbuch. Plötzlich stieß er einen empörten Schrei aus, riss das Buch entzwei und warf es vor uns auf die Straße. Ob Sie’s glauben oder nicht: Es war tatsächlich ein Buch meines Freundes. Mein Ehrgeiz als Schriftsteller war immer, dass mir so etwas nie passieren sollte.

Ein Albtraum. Hat Ihr Freund jemals wieder etwas geschrieben?

Jede Menge! Man kann als Schriftsteller mit Kritik umgehen lernen.

Wie erklären Sie sich denn Ihre bis heute anhaltende Popularität?

Dass auch meine alten Bücher heute noch gelesen werden, freut mich natürlich. Doch gerechnet habe ich damit nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich so hartnäckig bin.

Welche gesellschaftliche Funktion erfüllt ein Kriminalroman in den USA?

Der amerikanische Krimi handelt vom Individuum und seinem Recht zu handeln – im Gegensatz zum englischen, in dem es immer darum geht, einen Bruch in der Gesellschaft zu kitten. Das Individuum löst in den USA nicht die Probleme der Gesellschaft, und die Gesellschaft wird nicht die Probleme des Individuums lösen. Ob man Polizist ist oder Gangster, Verbrechen aufklärt oder Verbrechen begeht – was zählt, ist der Einzelne.

Auch in Zeiten globaler Wirtschaftskrisen?

Diese Fixiertheit auf das Individuum war in den USA nicht immer so. In den 30er Jahren, als die US-Gesellschaft viele Probleme hatte und auch politisch stärker an kollektiven Maßnahmen interessiert war, ging der Erfolg von Romanen über Privatdetektive spürbar zurück. Aber als Mitte der 40er Jahre die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten ihr Leben wieder allein auf sich gestellt meistern mussten, erlebte der Privatdetektivroman ein Comeback und alles, was mit dem Indi viduum zusammenhing.

Die Szene betrat Mickey Spillane, der in seinen Romanen den Krieg einfach im Wohnzimmer weitergehen ließ.

Ja, in „Ich, der Richter“ erschießt der Held die untreue Freundin seines Kriegskameraden, und der berühmte letzte Dialog lautet: „Wie konntest du nur?“

Wie und unter welchen Umständen ist Ihr Antiheld Parker zur Welt gekommen?

Unter meinem eigenen Namen hatte ich bereits einen Vertrag mit einem Hardcover-Verlag, für den ich einen Krimi pro Jahr schreiben sollte. Mein Lektor machte mir das Angebot, Originalausgaben im Taschenbuch zu schreiben. Ursprünglich war Parker als Bösewicht für den ersten Roman konzipiert, in der ersten Fassung wird er erwischt und landet im Kittchen. Aber meinem Lektor gefiel die Figur so gut, dass er mir vorschlug, doch gleich eine ganze Parker-Reihe zu schreiben. Damit hatte ich eine harte Nuss zu knacken: Wie schafft man es, aus diesem gewissenlosen und skrupellosen Menschen nur ja keinen Helden zu machen? Im Großen und Ganzen ist es mir gelungen.

Ein Filmregisseur sagte einmal, Sie schrieben in Ihren Parker-Romanen wie ein Franzose. Was, glauben Sie, hat er damit gemeint?

Wenn ein amerikanischer Autor über einen Bankräuber schreibt, dann braucht der Dieb immer das erbeutete Geld, um einem kleinen Mädchen im Rollstuhl die lang ersehnte Operation bezahlen zu können. Ein französischer Autor schreibt über einen Bankräuber, weil er Banken ausraubt, Punkt. Deshalb habe ich es als Kompliment aufgefasst, dass ich wie ein Franzose schreibe.

Haben Sie die Verbrechen, die Sie in Ihren Romanen schildern, je beunruhigt?

Nein. Ich achte allerdings darauf, nie jemanden als Opfer zu wählen, der zuviel Sympathie auslöst. Wenn Parker eine Bank ausraubt, wird niemand wegen der Bank in Tränen ausbrechen.

Lesen Kriminelle Krimis?

Ja. Richard Stark hat sehr viel Post aus dem Gefängnis bekommen. Die Insassen hatten eigenartigerweise das Gefühl, dass ich ihre Perspektive verstehe. Solche Briefe bekam ich eher auf die Bücher, die ich unter dem Namen Richard Stark denn als Donald Westlake veröffentlichte. Aus dem State Prison von Walhalla im Bundesstaat Washington schrieb mir mal einer, er habe soundso viele Jahre wegen bewaffneten Raubüberfalls aufgebrummt bekommen und sich eine ganze Reihe meiner Parker-Romane mit ins Gefängnis genommen, um sich mal gründlich fortzubilden.

Hatten Sie je die Befürchtung, eine Ihrer kriminellen Ideen könnte in die Wirklichkeit umgesetzt werden?

I wo! In gewisser Hinsicht schreibe ich ja historische Romane. Parker lebt in einer Welt vor den Drogen, in der Kriminalität eine Möglichkeit darstellt, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Parkers Wirklichkeit ist fast dieselbe wie die im London zur Zeit Charles Dickens, wo Tausende von kleinen Gaunereien den Alltag ausmachten. Wir dagegen leben heutzutage in einer anderen Wirklichkeit.

Nämlich?

In der Wirklichkeit der Drogen. In dem Moment, wo das Verbrechen nicht mehr durch die Logik des Geldes gesteuert wird, sondern durch die Logik der Drogen, verändert sich alles. Dadurch findet ein Exorzismus der Intelligenz aus der Welt des Verbrechens statt. Deshalb glaube ich nicht, dass jemand eines der Verbrechen aus meinen Romanen je in die Tat umgesetzt hat. Aber vielleicht hat es ja geklappt, und keiner hat’s gemerkt.

Vielleicht war das auch nur eine etwas schräge Art, nach der Verantwortung des Schriftstellers zu fragen.

Meine Verantwortung besteht darin, eine Geschichte gut zu erzählen. Das ist mein Job. Mein einziger Ehrgeiz richtet sich darauf, dass Sie sagen: OK, das Geld für das Buch war nicht verschwendet.

Das Gespräch führte Denis Scheck.

Am Silvesterabend starb der US-Krimiautor Donald E. Westlake im Alter von 75 Jahren in Mexiko, wo er mit seiner Frau Abigail Urlaub machte. Der Zsolnay Verlag hat gerade mit einer umfangreichen Neuausgabe der Romane um den gewissenlosen Gangster Parker begonnen, die Donald Westlake seit 1962 unter dem Pseudonym Richard Stark veröffentlichte und die als „Point Blank“ und „Payback“ teilweise auch verfilmt wurden. Nach „Fragen Sie den Papagei“ im Jahr 2008 erscheint In diesem Frühjahr der Roman „Keiner rennt für immer“.

Denis Scheck besuchte Donald E. Westlake vor wenigen Monaten an seinem Wohnort im Bundesstaat New York.

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