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Der irische Dichter Matthew Sweeney, 1952-2018

© Neil Astley/Hanser Verlag

Matthew Sweeneys Gedichte "Der Schatten der Eule": Lila Ärzte

"Sie hat entschieden, sich niemals blicken zu lassen": Die letzten Gedichte des 2018 verstorbenen irischen Dichters Matthew Sweeney.

Bekanntere Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Dichter und Dichterinnen können davon ausgehen, dass ihnen – zumindest eine Zeit lang – sowas wie Unsterblichkeit gewiss ist, sie nicht nur in den Gedanken ihrer Nächsten und Liebsten fortleben.

Doch ist das zuvor, womöglich im direkten Angesicht des Todes ein Trost? Der irische Dichter Matthew Sweeney, der im Sommer 2018 verstarb, erfuhr im Herbst 2017, dass er eine unheilbare, zum Tode führende Nervenerkrankung hat.

Er tat dann, was er immer getan hat: schreiben, nun mit dem Tod als Begleiter. Dieser ist denn auch das unheilvolle Zentrum des letzten, in der sehr schönen Übersetzung von Jan Wagner jetzt auf Deutsch erschienenen Gedichtbandes von Sweeney, „Der Schatten der Eule.“

Ständige Bedrohung

Das Sinnbild für den Tod stellt hier die Eule dar. Zwölf von knapp siebzig Gedichten, ein Eulenzyklus, bilden das Intro des Bandes. Sie zeigt sich nie, diese Eule, „sie hat entschieden, sich niemals blicken zu lassen“, heißt es im ersten Gedicht. Oder später, versöhnlicher: „Schön, ich ignoriere sie.“

Schließlich spürt das lyrische Ich, das sich die ganze Zeit mit blauen Vögeln, Krähen, Staren oder einem Käfer begnügt hat, doch ihre Anwesenheit, zumindest im Traum, in einem blauen Lieferwagen, der sich auf einen „Endpunkt“ zubewegt. Am nächsten Tag liegen in realiter ein paar braune Federn auf einem weißen Teller auf dem Küchentisch.

Es liegt eine ständige Bedrohung in diesen Eulen-Gedichten. Düster-verhangen sind sie, motivisch auswegslos verschachtelt, kein Wunder – und doch hat sich Sweeney noch einmal befreit. Was folgt, beginnend mit der Rettung durch einen Albatross nach einem Sturz, wirkt lichter.

Eine Maus als Sandwich-Belag

Sweeney schlägt Volten, setzt funkelnden Pointen, gerät ins Fabulieren und gewinnt seinem Restleben schöne Seiten ab. Er macht sich Gedanken über die Pizza auf südfranzösische Art („à Sète“), er labt sich, vor einer Stierkampfarena sitzend, an den Genüssen Spaniens („Oktopus–Tentakel vom Grill“); oder er meint in einem Krankenhaus plötzlich lauter Ärzte und Ärztinnen mit gefärbten Haaren zu erkennen.

„Ich sah vier blaue, / zwei gelbe, drei scharlach- und drei rosarote / sowie einmal lila, bevor ich das Zählen aufgab. / Sämtliche Ärzte dieser Menschenwerkstatt / waren dabei. Und ich sah glasklar, was dahintersteckte – die Haare waren ein Lächeln, / nach oben über die Kopfhaut verschoben, / mit dem sie jede Nachricht überbringen konnten.“

Die allerletzten Gedichte werden wieder stockduster. Sie drehen sich um den körperlichen Niedergang („Schleim ist ein Scheißkerl“), sind flehentlich, und die „haarige Scheibe Maus“ als Sandwichbelag ist so makaber wie todtraurig. Trotzdem: Dieser Eulenband von Matthey Sweeney ist eine wunderbar gestaltete Einladung, sich seinem Gesamtwerk zu widmen.

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