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Ruge-Theateradaption: Land der Schrankwand

Eugen Ruges DDR-Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ war ein großer Erfolg auf dem Buchmarkt. Nun hat der Schriftsteller seine Familiensaga selbst dramatisiert - und dem Regisseur Stephan Kimmig die Vorlage für die Uraufführung im Deutschen Theater Berlin geliefert.Das Ergebnis: viel Slapstick und etwas Besinnlichkeit.

In dem Film „My Big Fat Greek Wedding“ sagt die griechische Mutter zu ihrer Tochter entsetzt: „Wie, dein Freund isst kein Fleisch?“ Angewiderter Blick, dann erleichtertes Abwinken. „Macht nichts, dann mach ich eben Lamm.“

In dem Theaterstück nach dem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge blafft die aus Russland stammende Mutter Irina beim Besuch von Sohnemann Alexander mit Freundin: „Wie, sie ist Vegetarierin?“ Angewiderter Blick, dann erleichtertes Wedeln mit der Zigarette. „Macht nichts, dann mach ich eben Huhn!“ Wie gewünscht: Lachen im Publikum. Die Kluft zwischen den Generationen, vom Kitt der Pointe versöhnlich ausgefüllt.

Aber was hat die niedliche Komödie über eine Einwandererfamilie in den USA mit der Bühnenadaption von Eugen Ruges Bestseller am Deutschen Theater gemein? Mit einer hochkarätig besetzten Theaterfassung jenes beeindruckenden Buches, das über drei Generationen von einer DDR-Familie erzählt (vom kommunistischen Hardliner Wilhelm über den zweifelnden Karrieristen Kurt bis zum verzweifelt heimatlosen, in den Westen machenden Alexander) und dabei geschickt persönliche und Zeitgeschichte miteinander verzahnt? Eben das: die Harmlosigkeit.

Es ist der Wurm der nacherzählenden Zähigkeit drin, und gleich in der ersten Szene zeigt sich, was der Bühnenversion fehlt: eine angemessene Figurenzeichnung, eine schlüssige Perspektive, überhaupt so etwas wie ein Zugriff, der das Geschehen für die Bühne noch einmal neu erfindet. Katja Haß hat wie immer eine schöne Bühne gebaut, zwei einfach erlesene Schrankwände rechts und links, aus denen sich mit einem Griff Betten, Herd oder Regale ziehen lassen. Hinten eine Art Warteraum, funzelig erhellt von unzähligen DDR-Pendelleuchten, für die die Ausstattung wohl alle Retroläden der Stadt leergeräumt hat. Da sitzen, stricken und wechseln all jene Schauspieler immer wieder die Kleider, die gerade nicht ihren Auftritt haben.

Und vorn, da ruckelt gerade Bernd Stempel als altgewordener Kurt Umnitzer über die Bretter, als übe er das Gehen nach einem Schlaganfall. Dazu zeigt er einen sehr dement wirkenden Gesichtsausdruck. Gleich wird er mit den Fingern im Kartoffelbrei manschen. Kurz: Er gibt die Karikatur eines Erinnerungslosen. Da kommt auch schon Alexander Khuon als Kurts Sohn Alexander hereingestürmt, knallt dem Vater wütend die Aluschale mit dem Essen-auf-Rädern-Fraß vor den Latz und geht ihn aggressiv an („Ja, fressen kannste noch“). Dabei macht er, mit Bart und Parka bekleidet, ein sehr leidendes Gesicht. Kurz, Khuon gibt die Karikatur eines Sohnes, der nicht im Reinen ist mit sich und seiner Familie. Er klaut dem Vater Geld und fliegt zur Familiengeschichtsaufarbeitung nach Mexiko City. Doch spätestens, als Alexander Khuon nun in den klischeehaftesten Tönen von der Lebendigkeit der Stadt schwärmt (alle tragen total große Sombreros oder total winzige Hütchen und überall das Essen auf der Straße – Wahnsinn!), schlägt man verwundert vor dem inneren Auge noch einmal den Roman auf.

Die Stärke des Buches liegt in den plastischen Innenwelten, im Rumms der Figuren und ihrem emotional stark gefärbten Blick auf die Welt, aber nicht in ihrer konventionellen Beschreibung. Stark ist die Verzahnung der Zeitebenen, der Atem, der Zug, der alles verbindet, die langsame Entstehung eines Panoramas beim Lesen – Sibirien, Mexiko, DDR, Berlin im Jahr 2001 –, während die meisten Szenen für sich betrachtet schwächer als das Ganze sind. Und obwohl Eugen Ruge vor dem Roman schon zahlreiche Theaterstücke geschrieben hat, die Dialoge gehören nicht zu den Glanzlichtern. Müssen sie auch nicht, denn es kommt vor allem auf die Perspektive desjenigen an, der gerade wahrnimmt.

In der Adaption, die der Autor selbst besorgt hat, treten ungünstigerweise die schwächeren Aspekte hervor, die in ihrer Nacktheit nun holzschnitthaft wirkenden Konflikte zwischen Vater und Sohn, zwischen der trinkenden Mutter Irina (Judith Hofmann) und ihrem fremdgehenden, weinerlichen Gatten Kurt. Eugen Ruge ist zu freundlich zu seinem Roman, er will ihm nicht wehtun und macht aus vielem, was die Figuren für sich behalten, verplapperte Monologe.

Und Stephan Kimmig, ein starker Regisseur von Kammerspielen und Beklemmung auf engem Raum, ist zu freundlich zu Eugen Ruge. Er tritt kaum in Erscheinung und lässt den Abend drei Stunden betulich hingleiten. Da staunt dann Margit Bendokat als naives russisches Muttchen minutenlang über die eingemachte Gurke aus dem Laden. Bernd Stempel schrumpft Kurt zum nicht ernst zu nehmenden Muttersöhnchen, und Christian Grashof lässt als kommunistisches Urgestein vor Ekel über den Defätismus der anderen Augenbrauen und den Rest seines Gesichts virtuos zucken und tanzen.

Aber ob er nun beim Kapp-Putsch dabei war oder nicht. Ob Kurt nun aus Feigheit für den Parteiausschluss eines Kollegen stimmte oder nicht, diese ganze Sache mit dem Kommunismus und der DDR spielt in dem zartbitteren Familienklamauk bald kein Rolle mehr. Hysterische Mütter, die an Weihnachten Braten durch Wohnzimmer werfen – die gibt es überall.

Wieder am 7.,8. und 21. März.

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