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Neuer Freund aller Studierenden. Das Logo des Bots ChatGPT von der US-Firma OpenAI.

© picture alliance / NurPhoto / JAKUB PORZYCKI

Kunst und Künstliche Intelligenz: In der unmarkierten Zone

Hannes Bajohr entwickelt in seiner Walter-Höllerer-Vorlesung einen Begriff von postartifizieller Literatur.

Eine Kolumne von Gregor Dotzauer

Was für ein Staunen, wenn die Künstliche Intelligenz und das maschinelle Lernen wieder einmal einen Entwicklungssprung gemacht haben. Und wie behäbig hinkt das philosophische Verständnis hinterher. Während Microsoft gerade darauf sinnt, den Konversationsbot ChatGPT der Firma OpenAI, mit dessen Hilfe Schüler und Studierende bereits fleißig Referate verfassen, über einen Clouddienst breitentauglich zu machen, hängen viele noch an der alten Frage: Sind Computer wirklich kreativ? Und während Google seinen menschliche Empathie vortäuschenden Bot LaMDA derweil offenbar nur zurückhält, um seinen übrigen Diensten nicht das Wasser abzugraben, fragt man sich hierzulande wie eh und je: Haben Maschinen eine Seele?

Seit dem legendären Turing-Test im Jahr 1950 drehen sich die einschlägigen Debatten dazu im Kreis. Insbesondere um die Möglichkeit von Software, ein synthetisches Bewusstsein zu entwickeln, ist ein Glaubenskrieg entbrannt, der mit jedem Jahr heftiger wird. Die Gegner stecken fest in einem spekulativen Schlagabtausch, der dem technischen Fortschritt verzweifelt standzuhalten versucht.

In diesem Streit vertritt der Philosoph, Digitaldichter und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr offenbar eine tendenziell konservative Position. Zugleich fordert Bajohr, derzeit Fellow am Zürcher Collegium Helveticum, wo er sich mit Fragen der Autorschaft im KI-Zeitalter beschäftigt, dazu auf, den Fokus in Richtung einer konkreteren Frage zu verschieben: Was heißt es in einer Welt zu leben, in der man künstliche und sogenannte natürliche Texte immer weniger unterscheiden kann?

In seiner letzten Dezember an der Berliner TU gehaltenen Walter-Höllerer-Vorlesung, die nun schon vor dem Abdruck in der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“ (Nr. 245, März 2023) auf seiner Website hannesbajohr.de zu lesen ist, geht er dieser von Grund auf erneuerungsbedürftigen „Leseerwartung“ nach. Angelehnt an posthumanistische Ansätze, die neben menschlichen Bedürfnissen auch die Rechte von Tieren, Pflanzen und Maschinen hervorheben, prägt er den Begriff des postartifiziellen Texts. Zwischen Marketingprosa und Genreroman untersucht er, wie selbst die Literatur im emphatischen Sinn nicht ungeschoren davonkommen wird: „Die Zone unmarkierter Texte weitet sich aus.“

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