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Szene aus „Don Carlo“ an der Berliner Staatsoper

© Bernd Uhlig

Kolumne „Der Klassiker“ (Folge 42): Bügeleisen des Grauens

Schon erstaunlich, dass sich eine total missglückte Inszenierung von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ seit 21 Jahren im Repertoire der Berliner Staatsoper hält. Oder vielleicht doch nicht?

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Es gibt erfolgreiche Inszenierungen, es gibt missglückte Inszenierungen und es gibt solche, die sich vor allem deswegen im Repertoire halten, weil sie so schön praktisch sind. Giuseppe Verdis „Don Carlo“ zum Beispiel, an der Staatsoper Unter den Linden im Jahr 2004 herausgekommen und jetzt wieder auf dem Spielplan (weitere Aufführungen am 16. und 30. September).

Die Produktion kommt fast ohne Bühnenbild aus – nur ein Küchentisch und ein paar Stühle werden gebraucht – und auch fast ohne Regie. Sämtliche Darsteller steuern jeweils auf kürzestem Wege die nächste Sitzgelegenheit an oder klammern sich an den Lehnen fest, falls sie Erregung oder sonstige Emotionen ausdrücken sollen.

Lodernde Leidenschaft im Orchestergraben

Verdis Schiller-Vertonung gehört zu den Stücken, die das Publikum zuverlässig anlocken. Des bekannten Sujets wegen und natürlich aufgrund der genialen Musik des italienischen Komponisten. Glücklich, wer da so eine praktikable Produktion zur Hand hat, die sich ruckzuck aus dem Fundus auf die Bühne bringen lässt. Die 56. Aufführung der mittlerweile 21 Jahre alten Staatsopern-Produktion jedenfalls ist am Sonntag - trotz spätsommerlichen Biergartenwetters - bestens besucht. „Don Carlo“ als Cashcow.  

Musikalisch ist der Abend ein Genuss, Massimo Zanetti dirigiert mit lodernder Leidenschaft und reißt die Staatskapelle so sehr mit, dass die Musikerinnen und Musiker einen fabulösen Klangzauber entfalten. Sämtliche Rollen sind beachtlich besetzt, mit Spitzenleistungen von Ekaterina Gubanova (frisch aus Bayreuth zurückgekehrt, wo sie die Kundry gesungen hat), Falk Struckmann (als Großinquisitor) und René Pape (sensationell seine „Sie hat mich nie geliebt“-Arie).

Wäre nur die szenische Seite nicht so armselig! Der Tiefpunkt des Regietheaterniveaus ist erreicht, als die Königin ihrer Verzweiflung über das Macht- und Gefühlschaos am spanischen Hof durch den Griff zum Bügeleisen Ausdruck verleiht – um wenigstens die faltige Tischdecke zu plätten, wenn ihr eigenes Herz schon so zerknittert ist.

Und dann bleibt das Bügeleisen einfach stehen, als irritierender Blickfang während der gesamten Szene, in der Marquis Posa vom König damit beauftragt wird, das Gefühlsleben des Thronfolgers auszuspionieren. Sire, geben Sie Requisitenfreiheit!

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