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Kultur: Jung und finster - ein Hoffnungsträger

Einmal rief ein Intendant an und sagte, man müsse jetzt unbedingt nach Halle kommen, an sein Kinder- und Jugendtheater, denn dort inszeniere ein junger Regisseur mit einer ganz eigenen finsteren Lust.Vielleicht hat der Intendant auch andere Worte benutzt, jedenfalls aber rief er immer wieder an, solange, bis man keine Ausreden mehr hatte und sich am Bahnhof die Zugverbindung ausdrucken ließ, um zur Premiere von Helmut Kraussers "Lederfresse" zu reisen.

Einmal rief ein Intendant an und sagte, man müsse jetzt unbedingt nach Halle kommen, an sein Kinder- und Jugendtheater, denn dort inszeniere ein junger Regisseur mit einer ganz eigenen finsteren Lust.Vielleicht hat der Intendant auch andere Worte benutzt, jedenfalls aber rief er immer wieder an, solange, bis man keine Ausreden mehr hatte und sich am Bahnhof die Zugverbindung ausdrucken ließ, um zur Premiere von Helmut Kraussers "Lederfresse" zu reisen.Das war die Initiation, die Einführung in ein theatrales System, aus dem es kein Entrinnen gibt, für die Figuren nicht und nicht für den Zuschauer.Damit darüber kein Zweifel aufkommt, läßt der junge finstere Regisseur das Stück gleich zweimal durchspielen, womit er Mann und Frau, das dargestellte Paar, tief in die Unausweichlichkeit, in das Desaster der Liebe hineintreibt.Sie wissen immer, was sie tun, und so auch, was sie sich antun.Aber sie können nicht anders.

Inzwischen hat Thomas Bischoff ein gutes Dutzend solcher Geschichten erzählt, und man hat, wollte man sie sehen, ein gutes Dutzend Zugverbindungen erfragen müssen: nach Brandenburg, nach Heidelberg, nach Köln, Leipzig und Graz.Bis Bischoff dann mitten in München, an den Kammerspielen nämlich, den "Urfaust" auf die Bühne brachte, und zwar als düsteres depressives Match in Mönchskutten zwischen Faust (Gott) und Mephisto (Teufel) um das schöne Menschenkind Gretchen, das so klug und illusionslos aufgeklärt ist, daß sie jeden falschen Retter von sich stößt: Heinrich, mir graut vor dir.

Ausgerechnet Thomas Bischoff, der Zuchtmeister und Konzeptkünstler, wird ab der kommenden Spielzeit Hausregisseur an der Berliner Volksbühne sein; er wird eitlen Posen ein strenges Korsett verpassen, er wird schwermütige Messen und unheilige Zeremonien veranstalten, und er wird alles mit seiner kalten Leidenschaft durchdringen.Wo Intendant Frank Castorf Welten zerschmettert, wird sich Bischoff seine eigenen aufbauen; wo der eine das Ensemble aufstachelt, wird der andere es zurückpfeifen.Castorf, der Punker, stellt einen Disziplinierungsantrag, weil allein unter Punkern der Punk keinen Spaß macht; so kommt er ganz nebenbei aus seiner total punkigen Szenen-Ecke heraus.Und zeigt, was sich hinter der Erkennungsmarke "Ost" sonst noch verbirgt.

Auch Thomas Bischoff erregte den Argwohn der Gutachter, damals in der akribisch begutachteten DDR: kein Klassenstandpunkt, keine Perspektive, Depression und Dekadenz - ein hoffnungsloser Fall.Wer kommt schon auf die Idee, Heiner Müllers "Schlacht" rückwärts zu inszenieren, und wer entdeckt im Zentrum der sozialistischen Persönlichkeit ein mörderisches Herz? "Ich hatte plötzlich den Status eines Verrückten", sagt der 1957 in Lützen bei Leipzig geborene Regisseur.Weshalb er fortan ungehindert arbeiten konnte, wenn auch abgedrängt in die Theaterprovinz von Senftenberg.Dort verkoppelte er Müllers "Philoktet" mit Müllers offiziell verbotener "Hamletmaschine", ohne daß es wer merkte.Bloß der Autor war vorher um Zustimmung gefragt worden: "Macht, was ihr wollt", entgegnete der, aber er versäumte nicht, auch die Verantwortung zu deligieren.Die Partei blieb sowieso mißtrauisch, sie kaufte ganze Vorstellungen auf, aus Sorge, ein Unschuldiger könnte sich mit Bischoffs Gedanken infizieren.

Denn Bischoffs Gedanken sind finstere Gedanken.Mit ihnen läßt sich kein Staat machen, weder damals noch heute.In einem frühen literarischen Text beschrieb sich Bischoff in der Person des Ich-Erzählers als labil, als einer, der mit seinem Leben nichts anzufangen weiß, der sich vielleicht nicht einmal selbst aushält.Das klang in offiziellen Ohren gefährlich existentialistisch, verdächtig bürgerlich und ziemlich verkommen.Gleichzeitig aber schuf sich Bischoff bereits sein Theater der gefrorenen Emotionalität - und fand für sich und seine Unentschlossenheit ein stützendes Gerüst: die Konstruktion der Wirklichkeit nach eigener Anschauung.

Hier ist jeder Schritt kalkuliert, jede Bewegung bedacht.Alles unter Kontrolle."Auf der Bühne existiert nichts zufällig", sagt Bischoff, "und zwar aufgrund einer Verzögerung: Erst denkt der Schauspieler, dann überträgt er den Gedanken auf die Figur, und dann erst handelt die Figur.Das ist das Muster, vor dem ich im Leben Angst habe.Wenn ich diesen Vorgang bewußt mache, wird er entkleidet.Er wird böse.Ich kann in einer Weise ,Ich liebe dichÔ sagen, daß einem das Herz zu Stein gefriert, wenn es denn so bezweckt ist."

Eine Liebe, die sich wiederholt, ist eine böse Liebe, weil ihre Worte, ihre Blicke, ihre Gesten berechnend sind.Weil sie aus lauter Zweckhandlungen besteht.So wie in Bischoffs "Lederfresse".Und in Bischoffs "Clavigo", kürzlich in Düseldorf herausgekommen.Dort wird Goethes cooles Strategiespiel in kaltem blauem Licht zwischen zwei Gletscherwänden gezeigt, nicht ohne ein romantisches Grundgefühl, das immer wieder als Gegenkraft in Bischoffs Kosmos auftaucht, zwar zum Scheitern verurteilt, aber nicht auszulöschen.

Politisch dagegen scheint er keiner Utopie mehr anzuhängen: In seiner Inszenierung von "Dantons Tod" im Brandenburger Lokschuppen erstarrt die revolutionäre Gesinnung zur Pose.Die Helden wirken wie Statuen mit Blut am Saum ihrer Kleider.Der Terror läuft von selbst.Jeder weiß, was um ihn herum geschieht, aber keiner krümmt einen Finger."Der Mensch ist nicht in der Lage, etwas zu verändern", glaubt Bischoff."Er kann sich engagieren, er kann auch bewußt etwas Böses tun, aber es fehlt ihm die Kraft, aus seinen Fehlern zu lernen, seinen Egoismus zu überwinden.Er denkt nur an sich selbst.Er ist, wenn ich ihn in das Verhältnis zu seiner Umwelt stelle, die Inkarnation des Bösen."

Bischoff braucht Texte, auf die er seine Visionen projizieren kann.Er, der das Wort verehrt, ist allerdings kein Wort- und Werktreuer, sondern allenfalls ein Ich-Treuer, besessen von der eigenen Perspektive, mit der er auf die Welt blickt.So perfektioniert er das System Bischoff, er verdichtet es und schottet es ab, und man muß schon die seltsam leichte "Weiberkomödie" im Schauspiel Leipzig heranziehen, eine Kostbarkeit nach Heiner Müller, um Indizien für einen Systembruch, für einen neuen Weg zu entdecken.Doch auch hier ist Bischoff auf Schauspieler angewiesen, die das vermeintlich Statuarische mit Leben ausfüllen: "Daß sich Angst, daß sich Wut, daß sich Haß, daß sich Liebe lange vorher aufbauen, will ich in den Augen, im Gestus der Schauspieler lesen können.Diese Bewußtheit ist das, was mich fasziniert." Bei Bischoff führt sie ins Verderben.

RALPH HAMMERTHALER

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