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Kultur: Humor ist, wenn man extra weint Alles Fake: „Das traurige Leben der Gloria S.“

Der hektische Putz- und Aufräumeinsatz in Erwartung kurzfristig angesagten wichtigen Besuchs gehört zu den Standardsituationen des filmischen Komödienstadels. Eine leicht abgewandelte Variante zeigen Christine Groß und Ute Schall in ihrem jüngsten, vom Titel her eigentlich in eine andere Richtung weisenden Film „Das traurige Leben der Gloria S.

Der hektische Putz- und Aufräumeinsatz in Erwartung kurzfristig angesagten wichtigen Besuchs gehört zu den Standardsituationen des filmischen Komödienstadels. Eine leicht abgewandelte Variante zeigen Christine Groß und Ute Schall in ihrem jüngsten, vom Titel her eigentlich in eine andere Richtung weisenden Film „Das traurige Leben der Gloria S.“: Zwei Frauen verwandeln in der Rekordzeit weniger Sekunden eine gemütliche Zweizimmerwohnung in ein trostloses EinraumLotterloch.

Der Grund? Die in einer Off-Theatergruppe agierende Schauspielerin Gloria (Christine Groß) ist mangels Aufträgen in einer derart prekären Situation, dass sie sich notgedrungen auf unsaubere Geschäfte einlässt – und nun vortäuscht, noch ein paar Grad weiter unten auf der Prekariatsskala zu stehen als in ihrem echten Leben. Denn für eine Dokumentarfilmproduktion wird eine alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin gesucht. Die Unkostenbeihilfe beim Dreh ist höher als die Theatergagen. Und so unbeholfen lächerlich, vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, die Darstellungskunst von Gloria und ihrer Truppe auch wirken mag: Um beim Dok-Casting mit hängenden Schultern und einer prall mit Vergewaltigung, Missbrauch und Knast gefüllten, reichlich boulevardesken Lebensgeschichte die – echten – Kandidatinnen auszuspielen, reicht es locker.

Glorias Gegenspielerin Claudia (Nina Kronjäger), als Regisseurin gerade an den Starallüren ihrer Hauptdarstellerin in einem RAF-Spielfilm gescheitert, ist jetzt auf der Suche nach Authentizität und echten Emotionen – und ein köstliches Abziehbild ihres Berufsstandes. „Kümmer’ dich nicht um uns, wir sind eigentlich gar nicht da“, heißt ihre erste Anweisung an die Protagonistin getreu traditionellen Direct-Cinema-Konzepten. Doch schon bald ist das vierköpfige Drehteam in Glorias Wohnung heftig am Möbelrücken, und die vermeintliche Hartzlerin wird nicht nur mit präzisen Spielvorgaben traktiert, sondern auch sozialarbeiterisch bemuttert. Doch die ist in ganz anderer Bedrängnis. Damit die Sache nicht auffliegt, muss Gloria immer weitere Mitglieder ihres Theaterensembles als Akteure in das Betrugsprojekt einbinden, und sie bedienen mit großer Lust die erwarteten Unterschichten-Klischees. Irgendwann sitzt die ganze Theatertruppe hinter Glorias Schrank und zieht hinter dem Rücken der Dokumentarfilmregisseurin ihre eigene dramaturgische Agenda durch.

Die Filmemacherinnen, seit einem Jahrzehnt mit dem Frauenkollektiv „hangover ltd.“ film- und theatererprobt, bauen aus der klassischen Komödienkonstellation eine angriffslustige Satire auf grassierende Scripted-Reality-Formate und Sozialexhibitionismus. Doch auch die real existierende Berliner Theater- und Filmwelt wird nicht geschont: vom jungen Möchtegern-De-Niro bis zur AvantgardeAmbitionistin kriegen alle ihr Fett ab. Die ebenso hintersinnig wie ökonomisch erzählte Film-im Film-Geschichte erinnert thematisch in manchem an Tatjana Turanskyjs „Eine flexible Frau“ und entbehrt bei aller Unterhaltsamkeit zum Glück jeglicher Anbiederung an den deutschen Komödien-Mainstream. So taugt „Die traurige Geschichte der Gloria S.“ auch prächtig als selbstbewusst weibliche Antwort auf Detlev Bucks zotige „Rubbeldiekatz“-Fantasien. Verraten werden sei noch, dass der Dokumentarfilm-im-Film am Ende trotz einer hochkritischen Wendung wirklich das Licht der Welt erblickt – ganz nach dem Motto seiner Produzentin: „Man muss den Fehler ins System einbauen.“ Silvia Hallensleben

Babylon Mitte, fsk, Xenon

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