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Kultur: Heiliger Bimbam

Darf man das? Der finnische Maler Antero Kahila hat für Berlin einen Caravaggio rekonstruiert

Staunend starrt der Apostel auf das schwere Buch auf seinen Knien, auf das sich mit  Worten füllende Blatt. Der Heilige Matthäus schreibt das Evangelium, doch nicht aus eigenem Vermögen, ein Engel führt ihm die Hand. Staunend steht auch das Publikum vor dem gewaltigen Caravaggio-Gemälde, das in der Apsis der St. Matthäus-Kirche hängt, hoch über dem Altar und leicht nach vorne geneigt, sodass der Fuß des übereinandergeschlagenen Apostelbeins noch mehr nach vorne ragt.

Das um 1602 entstandene Werk aus der Hochzeit des Malers gilt seit über sechzig Jahren als verloren. Der finnische Maler Antero Kahila hat es nun farbig in den Originalmaßen rekonstruiert, obwohl nur noch eine Schwarzweiß-Reproduktion davon existiert. Das Gemälde war im Mai 1945 im Flakbunker in Friedrichshain mit anderen Werken des Bode-Museums verbrannt. Es ist ein kleines Wunder, gerade so wie der Moment der Entstehung des Evangeliums. Ähnlich wie der Apostel stellte sich auch der finnische Künstler in den Dienst einer höheren Sache und ließ sich leiten.

Sechs Jahre lang probierte er den richtigen Strich, prüfte die Farbe, untersuchte und kopierte vergleichbare CaravaggioWerke in Rom, London und Berlin, bis er davon überzeugt war, dass die Engelslocken, das Gefieder der Flügel nur so gemalt sein konnten, das Rot des Evangelistenumhangs, sein Inkarnat allein jenen Farbton haben konnten. Schließlich sollte es eine glückliche Wiedergewinnung, kein zweiter Abgesang sein.

Nun befindet sich das monumentale Werk, das vor zwei Jahren erstmals in Helsinki präsentiert wurde, nur einen Katzensprung von der Gemäldegalerie entfernt, wo aus Anlass des 400. Todestages des Malers eine Caravaggio-Hommage zu sehen ist. Die kleine feine Schau mit nur vier Werken des Meisters leistet Trauerarbeit. In einem eigenen Saal hängen in Originalgröße als Schwarzweiß-Reproduktion „Der Heilige Matthäus mit dem Engel“, außerdem das „Brustbild einer jungen Frau“ sowie „Christus am Ölberg“, die ebenfalls im Flakbunker verbrannten. Bis heute besteht die Hoffnung, dass die Geschichte mit dem Brand fingiert war, die Bilder als Kriegsbeute nach Russland gelangten.

Doch was hilft es. In Berlin verblieb allein das Dokument für den Katalog. Erst mit der Annäherung durch den finnischen Kollegen kehrt das Bild wie aus dem Jenseits zurück, belebt sich eine Szene voller Anmut und strotzender Kraft: Das himmlische Wesen, ein bildhübscher Knabe, wie er für Caravaggio typisch ist, legt nur zart seine Finger auf die Apostelpranke, die andere führt er verspielt an den eigenen Hals. Auch steht er nicht trutzig als Himmelsbote da, sondern lehnt lässig an der Schulter des Evangelisten, die Beine vom Gewand umflattert, während der muskelbepackte, bärtige Evangelist gebannt auf den Folianten schaut, in dem sich Gottes Wort wie von selbst formuliert.

Aber darf man das, Caravaggio spielen, ein Werk aus dem Nichts kopieren? Ist das Zeitalter solch akademischer Anverwandlungen nicht endgültig vorbei? Bernd Lindemann, Direktor der Gemäldegalerie, zerstreut bei der Ausstellungseröffnung alle Bedenken unter Verweis auf den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und begeistert sich für die Handreichung zwischen zwei Künstlern über 500 Jahren hinweg.

Dem Publikum wird ganz warm ums Herz. „Darf man etwas nacherschaffen, das verloren ist?“, fragt der Museumsmann weiter und meint die Rekonstruktion des Stadtschlosses durch Franco Stella. Begeisterter Applaus. Ach Berlin, deine Italiener, Sendboten der Vergangenheitsseligkeit.

St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, bis 6. 3.; Di-So 12-18 Uhr. Gemäldegalerie, bis 6. 3.; Di-So 10-18, Do bis 22 Uhr.

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