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Gustavo Dudamel

© Universal

Gustavo Dudamel in Berlin: Gleißend hell

Mit Präzision: Gustavo Dudamel dirigiert sein Simón Bolívar Symphony Orchestra in der Philharmonie.

Wow, das könnte was werden: Gustavo Dudamel kommt mit dem Simón Bolívar Symphony Orchestra in die Philharmonie, „Petruschka“ und „Le Sacre du Printemps“ im Gepäck. Zwei der drei weltstürzenden Ballette also, mit denen Igor Strawinsky als junger Komponist Furore gemacht und sich an die Spitze der Avantgarde katapultiert hat. „Sacre“ löste 1913 eine jener legendären Saalschlachten aus – die andere war das „Watschenkonzert“ mit Schönberg, Berg, Webern und Zemlinsky im gleichen Jahr im Wiener Musikvereinssaal – bei der man gerne dabei gewesen wäre: weil die Geburtswehen der Moderne vielleicht nie wieder so hautnah zu hören und spüren gewesen waren. Jetzt also beide Ballette in der Interpretation durch das junge, heißhungrige venezolanische Orchester, dem so viel Lob vorauseilt. Wobei, das „Youth“ im Namen haben sie gestrichen, zu hoch das Durchschnittsalter.

Und auch Dudamel, der Feuerkopf, war einmal. Zu sehen ist in der Philharmonie ein gesetzter, distinguierter Maestro, der ökonomisch dirigiert und dabei kaum Impulse aussendet. Das hört man: „Petruschka“, die Geschichte der Gliederpuppe, die lebendig wird, sich verliebt und von ihrem Konkurrenten umgebracht wird, vermag über weite Strecken kaum zu berühren. Größtes Problem: Die (immer noch) jungen Musiker trauen sich dynamisch zu wenig, und Dudamel wählt recht langsame Tempi. Dabei kommt ein verwalteter, wenig mitreißender Klang heraus.

Allerdings – und da spürt man die Arbeit, die der Chef des Los Angeles Philharmonic 25 Wochen im Jahr in sein Orchester steckt – ist die Intonation beglückend sauber, und auch die verzwackten Rhythmen, in denen Strawinsky ein Meister war, stellen keine Klippen dar. So wächst das Orchester langsam in den Abend hinein: Im Finale von „Petruschka“, das leider viel zu selten tatsächlich als Ballett ausgeführt wird, ahnt man endlich, worum es hier geht, lassen die vielen Miniaturen in der Partitur die Puppe plastisch im Saal tanzen.

Noch besser wird es im „Sacre“. Der einsame Fagottist, der das Werk eröffnen muss, macht seine Sache hervorragend, wie überhaupt das Orchester eine starke Solistenbank hat, etwa in den trotz Dämpfern gleißend hellen Trompeten. Dann der schockartige Einbruch der stampfenden tiefen Streicher, und los geht der Opferwahnsinn, an dessen Ende ein junges Mädchen tot umfallen wird (übrigens ein rein der Phantasie des Komponisten entsprungenes Ritual, das das „heidnische Russland“ so nicht kannte). So schraubt sich das Klangvolumen in schwindelerregende Höhe bis zum paukenumdonnerten Finale. Aber auch hier gilt: Sauberkeit und rhythmische Sicherheit allein sind's noch nicht. Was fehlt, ist der Wille zum Zubeißen, das letzte Quentchen Ekstase. Für Jubel und zwei Zugaben allerdings reicht es.

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