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Szene aus Dmitri Schostakowitschs "Die Nase", zu sehen an der Komischen Oper Berlin

© Iko Freese / drama-berlin.de

Frederik Hanssen empfiehlt: Fünf Kulturtipps fürs Wochenende

Riechorgane suchen, sich überwältigen lassen und zu Fuß einen Ausflug in die USA machen: Was man in Berlin am Samstag und Sonntag alles erleben kann.

Seit Montag sind wir Geimpften und Genesenen nun also unter uns in den Theater, Opernhäusern und Konzertsälen. Wer keinen Nachweis über den doppelten Piks vorweisen kann, muss draußen bleiben, kann aber, wenn er oder sie bereits Tickets für Veranstaltungen erworben hatte, die jetzt unter der 2G-Regel fallen, den Kaufpreis zurückfordern.

So entstandene Einnahmeausfälle werden den Institutionen wiederum vom Staat erstattet. Um große Summen geht es dabei nicht, denn unter den Kulturbesuchern liegt die Quote der Geimpften weit über dem nationalen Durchschnitt, wie aus den Häusern zu hören ist, nämlich im hohen 90-Prozent-Bereich.

Aber soll man überhaupt noch vor die Tür gehen, angesichts der erschreckenden Inzidenzzahlen? Wenn ich in mich hinein horche, sagt meine innere Stimme: Ich kann ja auf manches verzichten, auf Restaurantbesuche und private Feiern, aber definitiv nicht auf den Genuss von Livekultur!

Tipp 1: Dieser Abend ist für Menschen gedacht, die mit traditioneller Oper wenig anfangen können. Denn auch 91 Jahre nach ihrer Uraufführung wirkt Dmitri Schostakowitschs freches Frühwerk „Die Nase“ immer noch umwerfend avantgardistisch: Der Kollegienassessor Platon Kowaljow wacht eines Morgens auf und stellt fest, dass ihm sein Riechorgan abhanden gekommen ist. Von Kastrationsgefühlen geplagt, irrt er durch die Stadt, setzt alle Hebel in Bewegung, um den Zinken wiederzufinden.

In Barrie Koskys virtuoser Inszenierung trifft Dada auf Surrealismus, ein Schuss Franz Kafka ist auch dabei – und dazu wird im Orchestergraben fantastischer Krach gemacht. Wild und laut ist diese Produktion, anarchisch und grotesk, getragen von einer tollen Truppe von Darstellern und Tänzern, die sich rückhaltlos verausgabt, um vor den weit aufgerissenen Augen der Zuschauer lebendiges Musiktheater entstehen zu lassen (Komische Oper, Samstag, 20. November, 19.30 Uhr).

Tipp 2: Warum in die Ferne schweifen, wenn man die USA auch mit der U-Bahn erreichen kann? Vom Bahnhof „Oskar-Helene-Heim“ ist es nur ein kurzer Spaziergang bis nach Suburbia. Wer oberhalb des Dahlemer Dreipfuhlparks in den Lützelsteiner Weg einbiegt, reibt sich die Augen: Denn er steht unerwartet in einer amerikanischen Bungalow-Siedlung.

Die Flachbauten, die 1956/57 für Offiziere der Schutzmacht gebaut wurden, entsprachen dem "American Way of Life", mit zaunlosen Vorgärten und viel Parkraum für Straßenkreuzer. Man kann auf dem Asphalt natürlich auch Rock ’n’ Roll tanzen.

Tipp 3: Jung trifft alt, Kino trifft Konzert: Im Rahmen der Feierlichkeiten zu „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ macht das Bundesjazzorchester Musik zum Stummfilm „Das Kabinett des Dr. Caligari“ von Robert Wiene.

Der Hollywood-Komponist Jeff Beal (er schrieb den Score zur Serie „House of Cards“) hat eine neue Partitur für den Gruselklassiker von 1920 geschrieben, außerdem werden historische Werbefilme der Agentur Julius Pinschewer aus der Weimarer Republik gezeigt. Niels Klein hat die Leitung, ein Vokalensemble ist auch noch dabei (Jüdisches Museum, Sonntag 21. November, 19 Uhr).

Keine Vorurteile pflegen - selber sehen!

Tipp 4: Jeder, der sich für die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen interessiert, sollte einmal in seinem Leben eine Revue im Friedrichstadt-Palast besuchen. Was da auf der größten Showbühne der Welt passiert, lässt niemanden gleichgültig, versprochen.

Die einen lieben diese verrückte circensische Mischung aus Tanz und Akrobatik, verfallen dem Rausch der Kostümorgien und der schönen Körper, die anderen sehen nur einen völlig unzusammenhängenden Reigen bombastischer Bilder im Talmiglanz. Nur die Vorurteile zu pflegen, gilt nicht! Hingehen, selber sehen!

Kunst in Zeiten des Kalten Kriegs

Tipp 5: Die Infotafeln im Martin-Gropius-Bau sind konsequent in lateinischer und kyrillischer Schrift verfasst. Denn hier treffen amerikanische und russische Kunst aus dem Kalten Krieg aufeinander. Die Werke aus den USA wirken vertraut, die aus der UdSSR faszinierend fremd.

Groteske Propaganda-Gemälde in höchster künstlerischer Meisterschaft hängen neben New Yorker Pop Art, doch nicht bei jedem Exponat ist sofort zu erkennen, auf welcher Seite des Eisernen Vorhangs es entstanden ist. Da wird der Ausstellungsrundgang zum inspirierenden Ratespiel ("The Cool and The Cold", Martin-Gropius-Bau, bis 9. Januar 2022).

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