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Der RBB Standort an der Masurenallee.

© dpa/Jens Kalaene

Frederik Hanssens Kolumne „Der Klassiker“ (60): Klassik-Kleber zum Frühstück

Beim RBB glaubt man, die Eliminierung von klassischer Musik aus dem Frühprogramm der Kultur-Welle würde klaglos hingenommen. Wenn das mal keine Täuschung ist.

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Am Dienstag nach Ostern geht es endlich los. Dann wird der Morgen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg zur klassikfreien Zone. In dem Sender, der bislang das Wort „Kultur“ im Namen trug und der künftig ganz neutral „Radio 3“ heißt, werden zwischen sechs bis zehn Uhr Bach, Beethoven, Brahms und Co. aus dem Programm verbannt. Stattdessen erklingen Jazz, Soul, Country, Rhythm and Blues, Weltmusik und Elektro.

Dorothee Hackenberg, die Instandbesetzerin, pardon, Leiterin des Senders, würde allerdings wohl eher von einer klassikbefreiten Zone sprechen. Denn sie ist der Überzeugung, dass sich Solistenkonzerte, Sinfonisches oder Kammermusikalisches leider überhaupt nicht verträgt mit den neuen, „stärker aktuell ausgerichteten“ Inhalten, die künftig den frühen Vormittag prägen sollen: Die Klassik, sagt sie, „würde dadurch verzwergt, zum Lückenfüller zwischen den Wortbeiträgen“.

Ernste Musik passt nicht zu ernsten Themen

Denn es wird viel geredet werden bei „Radio 3“: 20 Mal statt bislang neun Mal gibt es künftig in den vier Stunden zwischen sechs und zehn Uhr „Wortbeiträge“ – über kulturelle Ereignisse aus der Region, vor allem aber über gesellschaftlich relevante Sachverhalte. Und letztere, also die ernsten Themen, vertragen sich nach Meinung der Wellenchefin einfach nicht mit jener Art von Werken, die man – in Abgrenzung zur Unterhaltung – früher mal „ernste Musik“ nannte.

Selten habe ich auf einen Artikel so viele Reaktionen seitens der Leserinnen und Leser erhalten, wie auf das Interview mit Dorothee Hackenberg über die ästhetisch-stilistische Kehrtwende im Morgenprogramm. Und ich bin mir darum nicht ganz sicher, ob der Start der Reform am 2. April wirklich ungestört vonstattengehen kann.

Oder ob nicht doch die Klassik-Kleber aktiv werden, eine Gruppe von Damen in Twinsets und Herren mit Krawatte, die der Pförtner ob ihres seriösen Erscheinungsbilds anstandslos passieren lässt. Die dann aber zur allgemeinen Überraschung plötzlich aus den Hand- und Jacketttaschen Pattex-Tuben hervorzaubern, ihre Hände einreiben, sich an der Tür von Frau Hackenberg sowie am Mikrofon des neuen Morgen-Moderators Jörg Thadeusz festpappen, um dann die Kantate Bach-Werke-Verzeichnis Nummer 38 anzustimmen: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“.

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