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Der nach der Messerattacke genesene Salman Rushdie 

© Twitter

Erstes Interview nach Messerattacke: Salman Rushdie spricht von Albträumen und Schwierigkeiten beim Schreiben

Im August vergangenen Jahres wurde der Schriftsteller Opfer eines fast tödlichen Anschlags. Nun ist im „New Yorker“ ein Interview mit ihm veröffentlicht worden.

Man erschreckt beim Anblick des Fotos von Salman Rushdie, das der „New Yorker“ kurz vor Weihnachten von dem Schriftsteller gemacht hat: Das Brillenglas über dem rechten Auge schwarz abgedunkelt, darunter auf der Wange eine scheinbar klaffende Narbe. Rushdie hat daraufhin ein etwas freundlicheres Selfie bei Twitter eingestellt, das wieder verschwand, ein „more prosaically“ Foto, wie er laut einem User kommentiert haben soll. Inzwischen hat er es wieder in seinen Account gestellt: „This photo seems to have vanished from my tweets. Here it is again, just for the record.“

Auf dem rechten Auge blind

Die Folgen der lebensgefährlichen Messerattacke, der Rushdie am 12. August des vergangenen Jahres bei einer Literaturveranstaltung in Chautauaqua im US-Bundesstaat New York ausgesetzt war, sind jedenfalls unübersehbar. 

Er ist auf dem rechten Auge blind, und in dem ersten am Montag veröffentlichten Interview nach der Attacke mit dem „New Yorker“-Autor David Remnick sagt er, dass er nur schwer schreiben könne, langsamer, wegen der Verletzung seines linken Ulnarnervs und der jetzt fehlenden Sensibilität in den Fingerspitzen.

Ich schreibe, aber es ist eine Kombination aus Leere und Schrott.

Salman Rushdie

Rushdie vergleicht seine Situation mit einem posttraumatischen Belastungssyndrom. „Es war sehr schwer, wieder zu schreiben. Ich setze mich hin, um zu schreiben, und nichts passiert. Ich schreibe, aber es ist eine Kombination aus Leere und Schrott, Sachen, die ich schreibe und am nächsten Tag wieder lösche. Ich bin noch nicht aus diesem Wald heraus.“ 

Doch Rushdie wäre nicht Rushdie, jener Schriftsteller, der sich jahrzehntelang nicht von der Fatwa und den wiederholten Mordaufrufen des iranischen Regimes einschüchtern ließ, wenn er nicht hie und da etwas Zuversicht und Optimismus ausstrahlen würde: „Mir geht es wieder besser. Betrachtet man, was passiert ist, geht es mir nicht so schlecht. Die großen Verletzungen sind definitiv verheilt, ich mache viele therapeutische Übungen mit der linken Hand, und man sagt mir, dass ich das gut machen würde.“

Trotzdem merkt man, wie schwer angegriffen Salman Rushdie noch ist. Von „beängstigenden Albträumen“ spricht er, dass er zwar aufstehen und herumlaufen könne, aber Teile seines Körpers doch regelmäßige medizinische Check-Ups bräuchten und es eine „colossal attack“ gewesen wäre.

Zwei widerstreitende Gefühle meint Remnick bei der Begegnung mit Rushdie zu erkennen, nämlich dass er einerseits ganz offen über seinen Gesundheitszustand und auch die psychischen Folgen des Messerangriffs sprechen will, andererseits über alles außer der Fatwa und der Attacke, vor allem über literarische Angelegenheiten und seinen neuen Roman „Victory City“.

Der Roman ist an diesem Dienstag in den USA erschienen, der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Interviews also geschickt gewählt. So äußert Rushdie dann auch, zunächst auf die Jahre der Fatwa zurückblickend, dass er versucht habe, Anschuldigungen und etwaige Verbitterungen zu vermeiden: „Es war eine meiner Strategien, mit der ganzen Sache so umzugehen, dass ich vorwärts schaue, nie zurück. Was morgen passiert, ist wichtiger als das, was gestern war.“ 

Salman Rushdie, 2019 in Berlin

© open source / Christoph Kockelmann

Deswegen sei sein Fokus nun auf „Victory City“ gerichtet. Den Roman hatte er vor dem Anschlag fertig geschrieben. Zeitlich angesiedelt im Südindien des 14. Jahrhunderts, ist die Hauptfigur eine Neunjährige mit göttlichem Auftrag. Im Namen einer Göttin gründet das Mädchen die titelgebende „Victory City“, Bisnaga geheißen. In dieser Stadt soll den Frauen in einer komplett patriarchalen Welt eine gleichberechtigte Rolle gegeben werden.

Das führt in jener Zeit natürlich zu Verwerfungen, die wie geschaffen sind für den genuin-passionierten Erzähler, der Salman Rushdie ist. Seine Hoffnung sei nun, so Rushdie im Interview, dass „Victory City“ sein eigenes Schicksal dominieren werde: „Ich habe immer geglaubt, dass meine Bücher interessanter sind als mein Leben.“ Doch fügt er noch an, leicht resignierend: „Unglücklicherweise scheint die Welt nicht dieser Meinung zu sein.“ 

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