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Kultur: Ende einer Dienstfahrt

Herbert Fritsch zerlegt Shakespeares „Hamlet“ für TV und Internet

Meret Becker sieht sehr lässig und etwas bedröhnt aus in ihrem dunklen Anzug. Sie aalt sich auf den cremefarbenem Ledersitzen eines Bentleys, der die Karl-Marx-Allee entlangfährt. Der Chauffeur mit dem Doppelkinn und der verlebten Visage eines in die Jahre gekommenen KGB-Agenten blickt stoisch in den Rückspiegel. Nichts kann diese Limousine und ihre angekokste Besatzung aufhalten. Neben Meret Becker öffnet Alexander Beyer eine Champagnerflasche, seine Begleiterin lacht ziemlich somnambul und anzüglich und dann fangen die beiden an, sich in Shakespeare-Versen zu unterhalten. Kein Wunder, dass sie diese großen Sätze mit großen Schlucken aus der Champagnerflöte runtergurgeln müssen.

Man kann sicher eine Menge gegen Meret Becker sagen, aber als verstrahlte Luxusschlampe Hamlet ist sie beeindruckend. Auch Alexander Beyer ist als Horatio nicht übel. Aber gerade als man wissen will, wie es weitergeht mit Hamlet und Horatio und Hamlets totem Vater, ob sie jetzt mal langsam irgendwo ankommen, ob Hamlet es endlich schafft, den Vatermord zu rächen und was für eine undurchsichtige Rolle der Geheimdienst-Chauffeur spielt, bricht der Film ab, Ende einer Dienstfahrt sozusagen.

Es ist eine von vielen kurzen und einigermaßen seltsamen Seuqenzen, in die der Volksbühnen-Schauspieler, Konzeptkünstler und Computer-Junkie Herbert Fritsch „Hamlet“ zerstückelt hat: Viele, viele „Hamlet“-Splitter, lauter kleine, grenzgeniale Filme, jeder mit anderen Schauspielern, anderem Stil, anderem Konzept. Dazu Internet-Auftritte, ein ganzes System von Internet-Seiten, Spiele und interaktive Merkwürdigkeiten. Es sieht so aus, als könnte dieses „Hamlet“- Rhizom im Prinzip endlos vor sich hin wuchern.

Wofür die geschlossenen Anstalten des öffentlich- rechtlichen Fernsehens viele Millionen Euro und jahrelange Konferenzen auf Abteilungsleiter-, Redaktionsleiter- und natürlich Chefredaktionsebene gebraucht hätten (um das Projekt am Ende, logisch, dann doch abzusagen), brauchen Fritsch und seine Freunde nichts als eine lächerlich kleine Anschubfinanzierung des Hauptstadtkulturfonds, die Unterstützung der Volksbühne und ansonsten viel Ausdauer, Ideen und Gratis-Auftritte befreundeter Schauspieler – von Martin Wuttke bis Hannelore Hoger, von Peter Fitz bis Corinna Harfouch. Die Bentley-Episode zum Beispiel wurde lässig in zwei bis drei Stunden abgedreht, der Bentley samt Fahrer war vom örtlichen Autohaus gesponsert, Meret Becker und Alexander Beyer hatten Spaß und wollten kein Geld. So geht’s, wenn Künstler das Fernsehen neu erfinden und das Internet besiedeln.

Als das erste Dutzend dieser autonom produzierten „Hamlet“-Fragmente fertig war, schickte Herbert Fritsch eine E-Mail an Wolfgang Bergmann. Wolfgang Bergmann ist der Chef des ZDF-Theaterkanals und auch beim ZDF-Partnersender 3sat für den „Programmbereich Theater“ zuständig (der heißt wirklich so) – also ein Mann, der nach dem Link zwischen Theater und Fernsehen für das 21. Jahrhundert sucht. Und weil das bei den ZDF-Fernsehverwertungen von Peter Steins „Faust“ und Moritz Rinkes „Nibelungen“- Adaption (Regie: Dieter Wedel) eher nach 19. Jahrhundert aussah, wird sich der neugierige Profi gedacht haben, dass ein kleiner, aber heftiger Innovationsschub vielleicht nicht schaden könnte. Zur Mittsommernacht wird 3sat „Hamlet“ würdigen – und ab 22 Uhr 45 live aus dem Prater der Volksbühne Herbert Fritschs „Hamlet“-Party übertragen.

Jürgen Kuttner macht, was er immer macht: quatschen. Es spielen Rock-Bands, auch Fritsch tobt über die Bühne und dazwischen laufen seine kranken, wunderbaren Filme. Zum Beispiel der, in dem Christoph Schlingensief als Ophelias Frauenarzt erklärt, wie die Messmer-Zange, mit der das weibliche Genital fachgerecht geweitet wird, funktioniert – was er dann sofort an seiner Nase demonstriert. Oder der Film, in dem Martin Wuttke als neuer König seine Thronrede probt und dabei langsam durchdreht.

Der Rest muss nicht Schweigen sein. In Herbert Fritschs Internet-Projekt „hamlet-x“ können Besucher von Szene zu Szene und von Assoziation zu Assoziation surfen, ohne dass ihnen jemand dazwischen redet. Ziemlich verwirrend. Und ziemlich faszinierend.

Als Herbert Fritsch ein junger Schauspieler in Heidelberg war, führte er ein Tagebuch. In das schrieb er Sätze wie: „Künstler sein, heißt stören.“ Das Problem war, dass er das ernst meinte. Als er diese Tagebuchnotiz zu Papier gebracht hatte, marschierte er gerne bei Aufführungen, in denen er nicht mitspielte, auf die Bühne und hielt lustige Reden. Von diesen Anwandlungen ist der Extrem-Darsteller nie wieder genesen. Nur dass er jetzt statt auf die Bühne ins Internet und das Fernsehprogramm marschiert, um dort für seltsame Irritationen zu sorgen.

„Hamlet“, 3sat am 21. Juni, um 22 Uhr 45. Oder im Internet unter: www.hamlet-x.de

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