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Neu entdeckt. Der irische Dramatiker und Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett (undatierte Aufnahme).

© Konrad Giehr/ dpa/ picture alliance

Unbekannte Erzählung von Samuel Beckett: Einblick in den Kopf eines werdenden Genies

Zombies Zauber: Mit dem erstmals veröffentlichten „Echo’s Bones“ schrieb der 27-jährige irische Autor eine schwarzromantische Fantasie voller Referenzen.

Schon erstaunlich, wie so etwas noch passiert. Dass es von Samuel Beckett tatsächlich ein frühes, der großen Welt verborgenes Prosastück mit dem Titel „Echo’s Bones“ gab, konnten sehr aufmerksame Leser freilich schon zwei winzigen Erwähnungen in James Knowlsons rund tausendseitiger, 1996 erschienener Beckett-Biografie entnehmen.

Doch erst knapp zwei Jahrzehnte später war „Echo’s Bones“ auf Englisch zu lesen, und zu Becketts 30. Todestag ist die Übersetzung von Chris Hirte dann 2019 als „Echos Knochen“ auch hierzulande herausgekommen. Wobei Hirtes Leistung eine Mischung aus philologischer Detektivarbeit und poetischem Nach-Neuerfindungsgeist bedeutet. Denn der 27-jährige, erst mit einem kürzeren Zeitschriftenabdruck und der Veröffentlichung seines Proust-Essays an die Öffentlichkeit getretene irische Autor hat hier trotz des skelettös-sphärisch klingenden Titels geradezu ungeheuer dick aufgetragen.

Obwohl das ganze Ding im Deutschen kaum 53 Druckseiten ausmacht, hat Beckett gleichsam überfrühreif unfasslich viel an eigenen Bildungsfrüchten in mal sarkastischer, mal satirischer Weise eingewoben. Woran sich jetzt Nachworte des englischen Herausgebers Mark Dixon, weitere Erläuterungen des Übersetzers und die zum Verständnis von Metaphern, Namen, literarischen Anspielungen und (verdeckten) Referenzen unentbehrlichen Anmerkungen zum Haupttext anschließen.

Im Jahr 1933 hatte Beckett, vom ungeliebten Lehramt am Dubliner Trinity-College auf dem langen Sprung in die freie Schriftstellerei (samt Assistenz beim großen Kollegen James Joyce), in einem Londoner Verlag seinen ersten Erzählungsband „More Pricks than Kicks“ („Mehr Prügel als Flügel“) untergebracht. Doch sein Lektor erbat vor der Publikation über die schon vorliegenden zehn Prosastücke hinaus noch einen elften Text, um den Band etwas umfänglicher zu gestalten.

„The dead die hard“

Hierauf ließ der Autor seinen zwischen Alter Ego, purer Fiktion und Anspielung auf eine gleichnamige Figur im Purgatorium von Dantes „Commedia“ changierenden Protagonisten Belacqua, den er in der zehnten Erzählung bereits beerdigt hatte, gleichsam als Zombie wiederauferstehen. Ein fleischhaltiges, sexfähiges, gleichwohl schattenloses Gespenst.

Dieser neue Schlemihl entspringt so einer schwarzromantischen Fantasie. Mal hockt er nur träge wie Dantes Belacqua herum, schmaucht Zigarren der von Beckett geschätzten Marke Voltigeur, gerät nach allerlei Umschweifen doch noch in die Arme der Hure Zaborovna Privet – ein stilistisches Meisterstück verschwurbelter Erotik – und verhilft danach dem unfruchtbaren Lord Wormwood (der später in Becketts Roman „Murphy“ wiederkehren wird) zum so nicht erwünschten, weil weiblichen Nachwuchs, um endlich mit dem Totengräber Doyle in einer furiosen Schändung seines eigenen Grabes wieder auf dem Friedhof zu landen. „The dead die hard“, ist im Original der erste, „So geht es in der Welt“ auf Deutsch der letzte Satz.

Er stammt aus „Katze und Maus in Gesellschaft“, dem Märchen der Brüder Grimm, das Beckett so gut kannte wie „Göthe“ (die Schreibweise ist sein Joke), Dante, Shakespeare, den Kirchenvater Augustinus, Charles Darwin, Robert Burtons „Anatomie der Melancholie“ oder auch Pierre Garniers französische Studie über „Onanismus einzeln oder zu zweit“. Viele der hier verarbeiteten Lesefrüchte hatte Beckett in seinem erhaltenen Notizbuch von 1931–33 festgehalten, und ohne diese Hilfe wäre eine Edition (und Übersetzung) noch schwerer gewesen.

„Echo’s Bones“ aber hat Becketts Lektor 1933 als „Alptraum“ voller „wilde(r) unauslotbare(r) Energie der Gestalten“ abgelehnt und „More Pricks than Kicks“ im Folgejahr ohne die elfte Erzählung herausgebracht. Nun, ein langes Menschenalter später, bietet sie den kuriosen, exaltierten Einblick in den Kopf eines werdenden Genies. Was hier noch manierierter Surrealismus ist, wird 15 Jahre später mit „Warten auf Godot“ zum minimalistischen Transrealismus. Und Beckett so zu Kafkas Erbe, im Geist der Moderne.
[Samuel Beckett: „Echos Knochen“. Suhrkamp Verlag, Berlin, 125 Seiten, 24 Euro.]

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