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Kultur: Ein Gemälde mit Falten

Wenn ein Kult zur Mode wird: Zum 12. Mal treffen sich die Meister der Körperkunst zur Tattoo Convention

„Ihr sollt keine Male um eines Toten willen an eurem Leib reißen, noch Buchstaben an euch ätzen, denn ich bin der Herr", heißt es bei Moses 3/19/28. Dieses Bibelzitat ist wohl der älteste schriftliche Kommentar zur Tätowierung. Als vor nicht ganz so ferner Zeit (1990) zum ersten Mal eine „Tattoo- Convention“ in Berlin stattfinden sollte, mietete man sich im „Trash" ein, einem vorwiegend von Motorradfahrern besuchten Musikclub in der Kreuzberger Oranienstraße. Heute, 3000 Jahre nach Moses, da es auch das „Trash“ nicht mehr gibt, belegen die Veranstalter der zum „Mega-Event der Tattooszene in Europa“ gewachsenen Messe die große Columbiahalle, Meistertätowierer aus 36 Ländern kommen nach Berlin.

Zeichen und Bilder auf der Haut haben eine lange Tradition, sind Schmuck, Ritual, Mode zugleich. Ursprünglich fügte man sich Schnitte zu und rieb dann Holzkohle, farbige Erde oder Pflanzenteile, später Tinte in die Wunde. Die Haut als letzte dünne Schicht zwischen Individuum und Welt wurde zum Kommunikationsmittel, um Botschaften auch an die Nachwelt zu übermitteln. So glaubt man, dass die Seefahrer des Mittelalters durch ein tätowiertes Kreuz versuchten, eine christliche Bestattung zu sichern, falls sie fern der Heimat zu Tode kamen.

Die moderne Begeisterung für Tattoos ist wahrscheinlich dem Entdecker James Cook zu verdanken. 1775 brachte er einen tahitianischen Prinzen mit nach Europa, dessen polynesische Stammestätowierung bei Teilen des europäischen Hochadels eine regelrechte Tattoo-Manie auslöste. Aber auch das Erscheinungsbild des gewöhnlichen Seemanns veränderte sich. Tätowierungen wurden beliebte Souvenirs der Seefahrer, wobei sich die traditionelle Kunst der Polynesier mit den Motivwünschen der westlichen Seeleute zu einer neuen Symbolsprache verband. So entstanden die so genannten Traditionals: Tätowierte Anker, Schiffe, Kreuze, Herzen, Palmen, Schlangen-Bilder voller Südseeromantik und Abenteuerlust.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts stieß die mit Randgruppen wie Häftlinge, Söldnern, Zirkusleuten, Kriminellen und Prostituierten assoziierte Tätowierung bei weiten Teilen des bürgerlichen Establishments auf Ablehnung. Erst gegen 1970 ändert sich das, langsam wird aus dem stigmatisierenden Zeichen von Abnormität ein Körperkunstwerk.

Heute ist die Tätowierung auch im christlichen Abendland gesellschaftlich weithin akzeptiert. Längst ist sie nicht mehr Seemännern, Knastbrüdern und Körperkünstlern vorbehalten. Hollywoodstars, Models, Bankangestellte, Sportler und Polizisten betrachten das mechanische Injizieren von Pigmenten oder Tusche längst als Ausdruck und Zeichen wahrer Individualität.

Im Zuge der Zivilisierung ist der Körper selbst zur Mode geworden. Im postmodernen Lifestyle wird der eigene Körper zurückerobert und geformt durch, wie es die Soziologie nennt, „gezielt ästhetisierendes Bodyprocessing", also durch Bodybuilding, Piercing, Hairstyling, chirurgische Eingriffe oder eine bis zur Bulimie forcierte Abmagerung.

Tätowieren ist so sehr zur Mode geworden, dass es schon wieder out ist. Fast jeder unter 30 trägt heute eine Rose am Hintern, eine Rune um den Oberarm, so dass Gruselrocker Ozzy Osbourne in seiner Family-Soap auf MTV die Tattoo-Wünsche seiner Tochter Kelly mit der Bemerkung verspottete: „Wenn du wirklich etwas besonderes sein willst, dann habe kein Tattoo.“

In der Columbiahalle haben Tätowierbetriebe aus Zagreb, Tel Aviv, Osaka und Weißrussland ihre Motivmappen ausgelegt, in denen Tribal Tattoos und Celtics, also Stammeszeichen und keltisch anmutende Ornamente dominieren, und fast überall surren die Pigmentiermaschinen. In einem Wettbewerb wird täglich die schönste Tätowierung prämiert. Männer lassen mitten in dem Trubel, zwischen T-Shirts, Schmuck, Totenschädel, Räucherstäbchen, Hennaprodukten, Haarverlängerungen und Stachelhalsbändern die Hosen herunter, Frauen krempeln die Hosenbeine hoch. Auf einem Tisch liegt, wie ein Opferlamm, regungslos ein Mädchen. Es wird in der Leistengegend verziert. Auf einem Podest beugen sich derweil vier Tätowierer über zwei auf Bastmatten hingestreckte Männer. Denen werden polynesische Tattoos ganz traditionell mit Meißel und Holzstöckchen in die Haut gehämmert.

Auf der Empore nebenan hat Herbert Hoffmann seinen kleinen Stand aufgebaut. An der Wand hängen T-Shirts mit dem Aufdruck „Älteste Tätowierstube Deutschlands", darunter eine Seejungfrau, die verschmitzt lächelt. Der liebenswürdige alte Herr mit der Seefahrermütze hat sein Lebenswerk mitgebracht: „Bilderbuchmenschen – Tätowierte Passionen 1878 – 1952“ (herausgegeben von Oliver Ruts/Andrea Schuler. Memoria Pulp Verlag, Berlin 2002. 280 Seiten. 60 Euro). Denn schon als Kind hatten den 1919 in Pommern geborenen Herbert Hoffmann Tätowierungen so sehr fasziniert, dass er deren Besitzern, Feldarbeitern und Zirkusleuten, hinterherlief.

Als er 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, machte er sich mit einer Roleiflex-Kamera auf die Suche nach Menschen mit den rätselhaften Körperzeichen. Fast 400 von ihnen hat er seither porträtiert. Vorwiegend ältere Männer, viele am ganzen Körper mit Hautgemälden übersäht, stöberte er über so genannte „Heimatkarteien“ noch in den entlegensten Regionen Deutschlands auf. Die Meisten sind um 1890 geboren und verdingten sich als Schmied, Kleinganove, Schausteller, Hafenarbeiter, Schrotthändler oder Matrose. An jeden einzelnen kann er sich erinnern.

Am Hamburger Berg nahe der Reeperbahn eröffnete Hoffmann 1961 eine eigene Tätowierstube, nur zwei solcher Körperwerkstätten gab es damit in Deutschland, beide in Hamburg. Nicht nur die Packer und Schweißer aus den Docks zählten zu seinen Kunden, auch Herren aus gehobeneren Kreisen suchten sein Atelier auf.

Wie der 83-Jährige so da sitzt in seiner Manchesterkluft, umlagert von jungen Bewunderern, wirkt er fast wie der gütige Großvater der Szene. Er erzählt gerne und lebendig aus seinem bewegten Leben, und von seiner großen Leidenschaft – den Tätowierungen. Die jungen Leute hören andächtig und voller Ehrfurcht diesem Mann zu, den mit seinen Kunden oft langjährige Freundschaften verbinden. Er signiert sein Buch, verkauft ein T-Shirt, während nebenan ein Ring durch die Brustwarze eines jungen Mannes gestanzt wird, der keine Miene verzieht.

Tattoo Convention noch bis heute Abend 22 Uhr in der Columbiahalle.

Christiane Rösinger

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