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Kultur: Drei gleißende Amazonen schießen auf den Mond

THEATER

Dutzende Augenpaare sind gebannt auf die Bühne gerichtet. Sie gehören menschengroßen, schwarzen Stoffhasen. Mit filziger Stille bevölkern sie das Parkett. Zahlende Zuschauer sind in den Olymp, also den Rang des Hebbel-Theaters verbannt. Von dort verfolgen sie die Wundermaschinerie des Theaters aus der Werkstatt der italienischen „Socìetas Raffaello Sanzio“. Eine entkernte, phantasmagorische, aufs Tierhafte reduzierte Neuaneignung der antiken Tragödie strebt Regisseur Romeo Castellucci an. In neun europäischen Stationen entwickelt er dazu seit 2001 sein jüngstes Projekt. Es ist die „Tragedia endogonidia“, eine sich selbst reproduzierende szenische Klon-Form, bestäubt aber vom jeweiligen Produktionsort. In Berlin geht es um eine Frau ohne Namen – die „anonyme Mutter“. Am Anfang masturbiert sie hinter schlierigem Vorhang, wird dann von den „schwarzen Larven“ mit roter Farbe bestrichen und später mit Kapuzenmantel als romantischer Mönch am Meer im Hintergrund abgestellt. Zwischendurch schießen drei Amazonen auf den Mond, ein Gartenzaun wird aufgebaut, fünf Flokati-Monster treten hinzu. Fahnen werden geschwenkt, auch die Deutschlandfarben, oder eine Standarte mit altdeutschem „M“. Die Frau ohne Namen hieß nämlich früher mal Meinhoff. Die Episode „B.#03 Berlin“ habe, so Castellucci, die deutsche Terroristin „als Rückgrat“. Im Hebbel-Theater fließen denn die Deutschland-Bilder gemächlich, erschröcklich vorüber. Das Tragische bleibt, wie die Wahrheit, meist im Verborgenen. Was man aber sieht, betört. Manchmal gleißt es.

Noch einmal heute am 18.1. um 20 Uhr

Franz Anton Cramer

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