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Zeugnis der Raffgier.

© IMAGO

Kultur: Die Höhlen von Ali Baba

Gurlitt war kein Einzelfall: Die Kunstbranche konfrontiert sich in Köln mit ihrer Geschichte und Geschäftspraxis.

Drei Monate liegt der Schwabinger Kunstfund zurück, der sonderliche Alte mit seiner spektakulären Sammlung ist aus den großen Schlagzeilen heraus. Doch der Skandal um die Beute-, um die Raubkunst im eigenen Lande bleibt – und das siebzig Jahre nach Kriegsende. Endlich ist es überhaupt ein Skandal, sagen die Provenienzforscher, die Vertreter der bestohlenen Sammler. Kulturstaatsministerin Monika Grütters mag sich für mehr Mittel und Stringenz in der Provenienzforschung engagieren, Cornelius Gurlitt sich nach Wochen des Schweigens bereit erklären, die über finsterste Wege in den Besitz seines Vaters gelangten Werke den rechtmäßigen Eigentümern wiederzugeben. Aber die Versäumnisse bis in die jüngste Zeit hinein lasten schwer, sie tragen zur Schuld an mangelnder Vergangenheitsbewältigung bei.

Die Verstrickungen des NS-Kunsthändlers Gurlitt senior bis ins Deutschland der Nachkriegszeit besitzen noch immer Virulenz, denn die Machenschaften eines ganzen Berufsstandes gingen weiter. Eine Stunde Null gab es nicht. Für die Händler war es nach 1945 ein Leichtes, mit Raubkunst Geschäfte zu machen. Niemand fragte nach der Herkunft der Werke, ein Unrechtsbewusstsein gab es kaum. Ein Kartell alter Profiteure und junger Galeristen nutzte die günstige Gelegenheit. In Teilen der Branche hält diese Amnesie bis heute an. Bis in die Achtziger hinein wurde offen aus der Sammlung Gurlitt verkauft, zuletzt ans Museum in Münster; Gurlitt selbst hat kein Geheimnis daraus gemacht. Die Auktionshäuser nannten seinen Namen als Reverenz. Die Gesetze schützen die Täter, nicht die Opfer. Sie müssen den Nachweis für die Bösgläubigkeit heutiger Besitzer erbringen.

Welche Dimensionen der Fall Gurlitt weiterhin besitzt, das zeigte sich beim 14. Deutschen Kunstsachverständigentag in Köln. Das Thema stand schon im Frühjahr fest, welche Brisanz es gewinnen würde, ahnte niemand. All jene waren bereits eingeladen, die seit dem Kunstfund immer wieder befragt wurden: darunter der Kunsthistoriker Willi Korte, dessen Forschungen dem Quedlinburger Domschatz aus den USA an seinen Ursprungsort zurückverhalfen, Andrea Baresel-Brand von der Datenbank Lostart.de zur Dokumentation gesuchter und gefundener Werke, der Enthüllungsjournalist und Autor Stefan Koldehoff. Der Abstand zur Aufregung Ende 2013 verdeutlichte nur die bleibende Dringlichkeit ihrer Anliegen. Die Zeit drängt, will man letzte Zeugen befragen, den Verfolgten und ihren Erben helfen.

Auch der Tagungsort erwies sich als gut gewählt, denn immer wieder war von den in Köln ansässigen Auktionshäusern Lempertz sowie van Ham die Rede und von der Lässigkeit, mit der dortige Strafverfolgungsbehörden etwa im Vergleich zu Berlin und München agieren. Willi Korte, der für die in Montreal ansässige Erbenstiftung des emigrierten Düsseldorfer Galeristen Max Stern recherchiert, machte aus seinem Ärger keinen Hehl, dass die amerikanische Gesetzgebung eine Restitution wesentlich vereinfacht, während die um Amtshilfe gebetene Kölner Kriminalpolizei untätig bleibe.

Zwei aus dem Stern-Besitz bei van Ham aufgetauchte Bilder wurden von den anonymen Einlieferern prompt wieder zurückgezogen, nachdem der Raubkunstverdacht auf sie fiel. Das Auktionshaus schützte deren Namen mit dem Hinweis auf das Gebot der Diskretion. Sie dürften die inkriminierten Werke nun in einer privaten Galerie unter Ausschluss der Öffentlichkeit versilbern. Für die Erben bleiben sie damit verloren. Ein drittes Gemälde, ein Achenbach, konnte im Oktober 2013 in der kanadischen Botschaft der Familie jedoch wiedergegeben werden, hier war der Verkäufer gesprächsbereit. Provenienzforscher Clemens Toussaint pflichtete dem Kollegen Korte anschließend aus dem Zuschauerraum voller Zynismus bei: Er empfehle russischen Soldatenkindern, ihre Beutekunst in Deutschland feilzubieten, denn dort würde nicht interveniert.

Aus dem Alltag eines Rechercheurs berichtete der Berliner Kunsthistoriker Jan Thomas Köhler, der den Fall Goudstikker bearbeitet. Die Familie des bedeutendsten holländischen Kunsthändlers der Vorkriegszeit wurde in gewisser Hinsicht zweimal enteignet. Zunächst durch die Nazis, genauer: durch Göring für sein Karinhall, und nach 1945 durch den niederländischen Staat, der sich die Werke Alter Meister für seine Museen einverleibte, statt sie – wie von den Alliierten auferlegt – zurückzugeben. Dieses Konvolut befindet sich heute bei den Erben in Amerika, die Abwicklung stellte den weltweit zweitgrößten Restitutionsfall nach dem der millionenschweren Sammlung Rothschild 1999 dar. Mithilfe eines kleinen Lederringbuchs, in das der Händler 1940 kurz vor seiner Flucht alle Werke notierte, versucht ein Forscherteam nun die verstreuten restlichen Bilder aufzutreiben – eine Sisyphosarbeit.

Einerseits erschwert die verstrichene Zeit die Suche, andererseits kommt dadurch die zweite Generation zum Zuge. Nicht zuletzt durch Unkenntnis der eigentlichen Quellen ist sie schneller bereit, die Bilder vom Speicher oder über Omas Sofa zu verkaufen, und erfährt häufig dadurch erst, was sich da in Familienbesitz befand. Prompt empfahl Andrea Baresel-Brand von der in Magdeburg ansässigen Koordinierungsstelle für Kulturgutdokumentation und -verluste die noch immer vermissten Werke zwecks Transparenz online zu stellen. Provenienzforscher wie Toussaint fürchten allerdings die umgekehrte Reaktion: „Die Bilder verschwinden dann wieder wie in Ali Babas Höhle.“ Dort werden sie „geschrubbt“, so weiß er, werden Aufkleber mit Händlernachweisen von der Rückseite entfernt, bevor sie bereinigt auf den Markt gelangen. Denn sind die Werke einmal bemakelt, verlieren sie an Wert. Häufig besteht die einzige Chance zur späteren Identifizierung in den Craquelés, jenen haarfeinen Brüchen in der obersten Farbschicht. „Cracks don’t lie“, zitierte Köhler eine Weisheit amerikanischer Restauratoren.

Die Gründung einer Bundesstiftung für Raubkunst – vergleichbar der von Teilen der Industrie angestoßenen Zwangsarbeiterstiftung – könnte eine Hilfe für die komplizierte Konstellation zwischen den Erben einstiger Eigentümer und heutigen Besitzer bedeuten. Diese Stiftung, so der Vorschlag von Stefan Koldehoff, bietet als Vergleich eine symbolische Summe an, sobald sich ein Werk als belastet erwiesen hat und eine juristische Lösung nicht zu erzwingen ist. „Der Kunsthandel könnte davon profitieren, er sollte sich an der Stiftung beteiligen“, so Koldehoff. Schließlich bedeutet das happy end der Irrfahrt eines Bildes auch Werbung für die Seriosität etwa eines Versteigerungshauses, das die Parteien an einen Tisch geführt hat. Chancen räumte Markus Eisenbeis vom Auktionshaus van Ham einer solchen Stiftung zwar keine ein, umso mehr appellierte er dafür, dem Kunsthandel „klare Spielregeln“ an die Hand zu geben. Restitutionen liefen stets nach ähnlichen Mustern ab, doch bei jeder werde neu justiert.

Samuel Wittwer, Direktor der Preußischen Schlösser und Sammlungen in Potsdam, gab eine Ahnung davon, was in den nächsten Jahren auf Museen noch zukommt, wenn nicht nur die bestohlenen jüdischen Sammler der Nazizeit, sondern auch die in der Sowjetzone enteigneten „Junker“ ihre Ansprüche geltend machen. Häufig wurden deren Besitztümer aus den konfiszierten Schlössern den DDR-Museen zugeschlagen, oder sie verschwanden in privater Hand. Auch hier dürfte durch die Enkelgeneration nun manches auf den Markt gelangen. „Die Museen schleppen da etwas mit sich herum“, erklärte Wittwer schonungslos für die Institutionen und mahnte, sich der moralischen Verpflichtung zu stellen.

Selbst wenn sich Gurlitts Bilder einst dort befinden, wo sie eigentlich hingehören, flottieren tausende Werke weiterhin. Der Name des Kunsthändlers steht für eine Unbehaglichkeit, die sein Berufsstand fortan zu tragen hat.

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