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Uhren und ihr Eigenleben.

© Askania

Das Eigenleben der Uhren: Geht mir auf den Zeiger

Immer nur Probleme: Sie gehen vor oder gar nicht.

Eine Kolumne von Rüdiger Schaper

Ein älterer Mann, der in New York mit alten Armbanduhren handelt – ein ungewöhnlicher Hit auf TikTok, schrieb kürzlich die New York Times. Die Geschichte spielt im Luxussegment, das passt dann schon zum Influencer-Geschäft. Ein Kunde will zwei Rolex verkaufen. Man einigt sich auf 62000 Dollar. Und die Pointe ist auch gut. Als ein anderer Kunde sich für eine glamouröse goldene Patek Philippe interessiert, rät der Händler ab: „Dafür bringt dich jemand um, außerdem ist das gar keine richtige Uhr.“

Ich mag das Gefühl, den Puls der Zeit am Arm zu tragen

Ich mag Uhren sehr, die Handwerkskunst, das vielfältige Design. Das Gefühl, den Puls der Welt am Arm zu tragen. Meine Uhren nehmen sich etwas bescheidener aus als in jenem Laden im Diamond District von Manhattan. Und es gibt ein Problem: Sie gehen vor.

Was ich auch unternehme, alle meine Uhren sind zu schnell. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein mechanisches Werk oder eine Automatikuhr handelt. Die Zeit läuft mir davon. Als ob meine inneren Organe, mein Herz die kleinen Rädchen vor sich her treiben. Meine Unruhe bringt die Zeiger durcheinander, hetzt sie durch den Tag. So komme ich natürlich nie zu spät.

Möglicherweise dreht es sich um eine deformation professionelle, eine Berufskrankheit. Aber wiederum kenne ich viele Menschen aus dem journalistischen Gewerbe, die notorisch überziehen und Deadlines reißen. Das Ärgerliche ist: Selbst teure Uhren laufen bei mir nicht richtig. Ein Exemplar, elegantes deutsches Fabrikat mit griechischem Namen, schafft auch kaum 24 Stunden, dann bleibt sie, obwohl korrekt aufgezogen, stehen. Erschöpft von meinen Vibrations, vielleicht.

Auf eine Minute kommt es vielleicht nicht an

Meine Sportuhr, auch nicht ganz billig, war pro Tag fünf bis sechs Minuten voraus. Ich trug sie zum Uhrmacher, der stellte sie neu ein. Jetzt geht sie nach. Das sei normal, sagt er. Auf eine Minute komme es doch nicht an, was soll die Eile! Er hat recht. Aber es nervt mich. Und eine Smart Watch am Handgelenk kommt nicht in Frage. Da kann ich auch aufs Handy schauen. Passiert ohnehin viel zu oft.

Mein Sohn hat mir eine schöne alte analoge Uhr geschenkt, Vintage, sechziger Jahre, mit blauem Zifferblatt, ungefähr mein Alter. Ein Schmuckstück. Amerikanische Lizenz einer berühmten Schweizer Firma. Ich bin sehr gespannt, wie sie sich zu meinem Zeitmaß verhält. Sie wird ja langsam kostbarer, die Lebenszeit.

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