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Rumänisches Kino: Cristi kam nur bis Vaslui

Starker Inhalt, karge Form: Mit wuchtigen Filmen stürmt eine neue Generation rumänischer Regisseure derzeit die internationalen Festivals. Und verändert die Sehgewohnheiten des Kinos. Neuestes Beispiel: Corneliu Porumboius Anti-Thriller "Police, adjective".

Wer diesen Film sieht, sollte ein paar nicht unwesentliche Dinge des Lebens ausdrücklich bejahen. Etwa den Umstand, dass Zeitersparnis nur selten Zeitgewinn zur Folge hat. Seelische Ökonomien funktionieren anders. Und dass es vollkommen unalltäglich, also erlösend sein kann, der reinen – unerlösten – Alltäglichkeit zuzusehen.

Also: Ein junger rumänischer Polizist geht zur Arbeit. Und wir begleiten ihn schon der Konsequenz halber in Echtzeit. Und weil der Regisseur von „Police, adjective“ jenes Phänomen mitzuverantworten hat, das wir heute die „Neue Rumänische Welle“ nennen. Jedes Jahr spült sie mindestens einen Preis aus Cannes oder Venedig an den rumänischen Strand. Für Corneliu Porumboiu waren es 2009 gleich drei. Tatsächlich, diese jungen Rumänen erfinden Film für Film das europäische Autorenkino wieder, auf unverwechselbare, immer wieder überraschende Weise.

Der junge Polizist Cristi (Dragos Bucur) geht so einen halb entschlossenen Ich-beschatte-hier-jemanden-Gang, vom Leben leicht gebeugt, den Kragen hochgeschlagen, gerade so, wie die Flics früher durch die französischen Filme liefen. Allerdings vibrierte da meist schon die ganze Szene vor dem unmittelbar bevorstehenden Fahndungserfolg. Hier vibriert gar nichts. Bei Porumboiu lernen wir: Ermitteln ist das Letzte. Erst recht im Winter. Und dann noch in Vaslui, Nordostrumänien. Wer nicht schon depressiv ist, wird es hier.

Vaslui ist die Heimat des Regisseurs, und der findet es wichtig, das zu zeigen, was man genau kennt. Auch die Motivationslage des Jungpolizisten ist ungewöhnlich: Er will den Delinquenten, einen Schüler, der Haschisch an seine Freunde weitergegeben haben soll, gar nicht überführen! „Police, adjective“ ist ein bekennender Anti-Thriller, seine spezifische Fortbewegungsgeschwindigkeit gehört mit zum Befund.

Spätestens jetzt wären drei Dinge zu behaupten. Erstens: Porumboiu ist ein Souverän der Zeit, er beherrscht sie, indem er sie verschwendet – und verliert dabei keine Minute. Zweitens ist „Police, adjective“ ein durchaus lustiger Film, was sich dem älteren Autorenkino eher nicht nachrühmen lässt. Es ist eine kostbare, leise Art des Witzes, der sich allmählich aufbaut und lange nachwirkt. Der Regisseur spielt dabei mit unserem Zeitempfinden und unterläuft alle Erwartungen – oder erfüllt sie in dem Augenblick, als wir sie gerade vergessen haben. Drittens: Nur wer darauf besteht, dass ein zeitgenössischer rumänischer Film Gesellschaftskritik enthalten muss, wird auch welche finden.

Schon die erste Unterhaltung Cristis mit einem Kollegen hätten wir anders gehört, ohne mit ihm vorher durch Vaslui gelaufen zu sein. Es wird ein souveräner Sprechaktunterricht in den verbalen Grausamkeiten des Lebens: Kollege hin, Kollege her, der andere darf nicht in Cristis Mannschaft. Er ist zu schlecht. Punkt. Aus. Kein Dialog in diesem Film wird wieder so einfach sein.

Nicht dass hier viel gesprochen würde, immerhin ist die Sprache die Hauptquelle aller Missverständnisse. Weshalb alle Kaum-Handelnden und Wartenden dieses Films jederzeit Gefahr laufen, vom Moloch Sprache verschluckt zu werden.

Höhepunkt von „Police, adjective“ ist vielleicht Cristis allereinsamstes EchtzeitAbendessen, vor ihm der Küchentisch, im Rücken der Kühlschrank. Auf all das sind wir vorbereitet, aber nicht auf das schlagerartige Liedgut, das Cristis Freundin offenbar hilft, sich am Computer zu konzentrieren. Und als Cristi längst vor dem Fernseher flegelt, sagt er zu ihr: Was du da hörst, hat doch überhaupt keinen Sinn: „Was wäre das Meer ohne die Sonne, das Feld ohne Blumen?“ Und es entspinnt sich ein weiterer subtiler sprachphilosophischer Disput – über „negativ pronominale Adjektive“ und aktuelle Verbesserungen der Rumänischen Akademie an der Landessprache.

Und doch wird der junge Polizist seinem überführungshungrigen Chef fast ohne semantische Rüstung gegenübertreten. Nein, Cristi will dem Jungen mit dem Joint, den er nun schon so lange beobachtet, keine Falle stellen, ihm das Leben nicht verderben: „Ich will dieses Kind nicht in meinem Bewusstsein haben.“ Wo bitte?, fragt der Polizeichef: „Was ist für Sie Bewusstsein?“ Er schickt nach einem rumänischen Wörterbuch. Das große semantische Purgatorium jedes Lebens beginnt – hier in einer Polizeidienststelle in Nordostrumänien. Mit dieser Szene treibt Porumboiu seinen Film ins offenkundig Absurde, in dem er sich mit subtilen Einblicken in den rumänischen Polizeialltag – in jeden Polizeialltag – ohnehin bereits aufhält. Er ist ein stiller Beobachter der Bruchlinien, an denen das Alltägliche ins Surreale übergeht, im Warten, im Fast-nicht-Handeln, im Reden.

Bewusstsein. Recht. Gerechtigkeit. Entweder du zerlegst die Allgemeinbegriffe, oder sie zerlegen dich!

fsk, Hackesche Höfe (beide OmU)

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