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Was machen wir morgen?: Bollerwagen fahren, was sonst?

In der Provinz gibt es das noch: den kleinen Exzess, die gemäßigte Randale. Aber warum nicht auch mal in der Hauptstadt zum Vatertag den Bollerwagen rausholen und bierselig um die Häuser ziehen?

In der Stadt, in der ich bis vor kurzem lebte, hatte der Vatertag eine klare Struktur: Am späten Vormittag, nach der Messe, begann der Einmarsch der Bollerwagenteams aus dem Umland, bierkistenselig zogen Männer aus Itzum, Harsum, Einum, Achtum, Borsum, Ochtersum, Jetze und Bad Salzdetfurth in die Stadt Hildesheim ein – immer den Fluss Innerste entlang, bis zum örtlichen See, dem Hohnsen. Dort angekommen, lagerten sie sich auf die Uferwiesen, betranken sich, bis jemand einem anderen den Bierhelm vom Kopf schlug, was dann in eine muntere Keilerei ausartete, an der sich Hundertschaften der Polizei nicht ohne Lust beteiligten. Das war ein gutes Leben.

Wenn es eins gibt, wozu eine Millionenstadt nicht fähig ist, dann ist es genau das: der kleine Exzess, die gemäßigte Randale, das mittelgroße Inferno. Hier muss immer alles gleich ausarten, statt 5000 mild erregten sind gleich 50 000 voll auf Krawall gebürstete Besoffene auf den Beinen. Oder gar keiner, weil Sauftouren gerade wieder überhaupt nicht angesagt sind. Von den überhippen Altersgenossen wird man sowieso immer schief angeguckt, wenn man im Szenekiez bierselig ein Volkslied anstimmt.

Doch warum eigentlich nicht? Warum nicht mit dem Bollerwagen zum Landwehrkanal fahren? Warum nicht mit einem Fußpils in der Hand – manche sagen dazu auch „Wegbier“ – am Ufer entlangwandern? Vor dem Urbanklinikum ein aufmunterndes Sprüchlein für die Raucher mit ihren Infusionsständern, an der Oberbaumbrücke eine abfällige Bemerkung für die Globalhansel mit ihren Gitarren. Zwischendurch lautstark Reisegruppen auf den vorbeifahrenden Ausflugsschiffen beschimpfen – und zusehen, wie gerade die Männer dann immer so herrlich hilflos aufgebracht sind.

Irgendwann ist man dann müde vom wilden Getriebe und außerdem bereits in Treptow und spätestens dann ist es Zeit, sich auf ein Ausflugsschiff zu begeben und zurück nach Kreuzberg zu fahren. Sollte einen dabei vom Ufer aus ein Bollerwagentrupp anpöbeln, sollte man nicht zaudern, sich herrlich hilflos aufzuregen.

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