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Mit den Waffen einer Frau. Zsa Zsa Gabor (M.) als schöne Venusianerin Talleah in dem Science-Fiction-Film „Queen of Outer Space“ (In den Krallen der Venus) 1958.

© imago/United Archives

Handgestrickter Feminismus: Bettle deinen Mann nie mehr an!

Mirna Funk betreibt weibliches Empowerment ohne Rücksicht auf Verluste.

Die Berliner Schriftstellerin und Journalistin Mirna Funk hat eine Streitschrift geschrieben. In „Who Cares!“ fordert sie Frauen in den sechs Dimensionen Karriere, Liebe, Sex, Geld und Körper auf, selbst für ihr Glück zu sorgen. In der Tat geben die Rahmenbedingungen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, im historischen und globalen Vergleich für viele Frauen hierzulande Grund zum Jubeln. Auch ist Funks Anliegen „allen Frauen Mut machen, ihre längst existierende Freiheit auch wirklich zu leben“ eine wichtige Position in der gegenwärtigen feministischen Debatte. Leider desavouiert sie diese durch analytische Unschärfe und mangelnde Empathie.

Das Kernargument des Buches ist die fehlende finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Zwei Drittel der deutschen Frauen seien abhängig von ihren Männern, wobei Abhängigkeit alles meint, was keine bezahlte Vollzeitbeschäftigung ist. Die Henne-Ei-Frage ist geklärt: Die Bereitschaft dieser Frauen, sich von Männern finanziell abhängig zu machen, erkläre, warum sie in Führungspositionen unterrepräsentiert blieben, warum sie unzufrieden in Liebesbeziehungen seien, warum sie ihre Lust nicht ausleben könnten und warum sie keine gleichberechtigte Beteiligung an Haushalt und Kinderbetreuung erlebten.

[Mirna Funk: Who Cares! Von der Freiheit, Frau zu sein. dtv, München 2022. 112 Seiten, 10 €.]

Entgegen dieser klaren, aber doch recht simplen und nicht weiter belegten These irritiert das Buch mit einer Uneindeutigkeit zum Verhältnis von Akteur und Struktur. Eine Frau, die „die Socken des Ehemanns wäscht“ oder „ihren Mann um Taschengeld anbettelt“, wird für diese Entscheidung persönlich angegangen – in stilistischer Eintönigkeit acht Mal in einer dieser beiden Formulierungen.

DDR, gelobtes Land

Selbst kinderlose Frauen arbeiteten nach der Eheschließung nicht in Vollzeit, beklagt Funk, weil es sich „nicht gehört“. Kein Wort davon, dass Ökonom:innen längst ausgerechnet haben, welche Rolle das deutsche Steuermodell des Ehegattensplittings an dieser Stelle spielt. Stattdessen rekurriert Funk auf die DDR, in der 1989 91 Prozent der Frauen erwerbstätig waren, im Unterschied zu 51 Prozent in der Bundesrepublik.

Die DDR erscheint, aufgrund ihrer im deutsch-deutschen Vergleich tatsächlichen Überlegenheit der Frauenemanzipation, als gelobtes Land. Gleichzeitig wird Eltern, die heute keinen Kindergarten mit ausreichenden Öffnungszeiten vorfinden, geraten, „ihn doch einfach“ selbst zu eröffnen, ganz so als hätten die ostdeutschen Frauen zunächst in Eigenregie Kitas gegründet, bevor sie sich in Vollzeiterwerbstätigkeit selbst verwirklichten.

Funk behauptet, ihre eigene ostdeutsche Sozialisation habe dazu geführt, dass finanzielle Unabhängigkeit für sie selbstverständlich sei; ihre jüdische Familiengeschichte zu einer skeptischen Haltung gegenüber dem deutschen Staat und, durch Überleben im Holocaust, zu einer lebensbejahenden Einstellung gegenüber ihrem Kind. Offen bleibt, wie man zu dieser Lebenseinstellung kommt, wenn man weder ostdeutsch noch jüdisch geprägt ist. Ja, was denn nun, möchte man also fragen, bestimmt das Bewusstsein das Sein – oder doch andersherum? Oder etwa: Bestimmen sie sich gar gegenseitig?

Dieser Befund wäre nichts Neues. Die Frauenrechtlerin und Sexualreformerin Helene Stöcker verehrte die wichtigste Frau der deutschen Romantik, Caroline Schelling, geborene Michaelis, verwitwete Böhmer und geschiedene Schlegel dafür, wie sehr sie „ihr Schicksal lieben gelernt“ und sich gerade dadurch alles zum Besten gewandt hatte. Zugleich gründete sie 1905 den Bund für Mutterschutz, um die Situation unverheirateter Mütter und ihrer Kinder zu verbessern.

Individuelle Ermächtigung und Strukturverbesserung

Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und der Drang nach höchster persönlicher Entwicklung seien unlösbar miteinander verbunden, schrieb Stöcker 30 Jahre später in ihren Lebenserinnerungen. „Nietzsche und der Sozialismus“ war demnach ihr Lebensmotto. Es wäre bedauerlich, wenn die feministische Debatte ein Jahrhundert später hinter diesen Diskussionsstand zurückfiele. Es muss stets um beides gehen, um individuelle Ermächtigung und um die Verbesserung von Strukturen. Ja, die Rahmenbedingungen für Frauen, ein unabhängiges Leben zu führen, sind heute und hierzulande gut. Doch dieser Befund gilt nicht für alle Frauen gleichermaßen und selbstredend ebenso wenig für Männer.

Es fällt kein Wort über die Rolle von Vermögen, Bildung, sozialem Netzwerk, Geschmack und Lebensstil (klassisch: Pierre Bourdieu) und neuerdings auch von sexuellem Kapital (Eva Illouz), die allesamt unsere Position in der Gesellschaft bestimmen.

Das eigene Leben als Argument dafür anzuführen, dass das alles Quatsch sei, zeugt von Ignoranz und zudem von einem eigenwilligen Verständnis von Motivation. Denn auch in dieser Hinsicht bleibt Funks lautes Büchlein hinter seinem Anspruch zurück. Der durchgängig empathielose und vorwurfsvolle Ton verhindert, dass ihr Weg so viel Mut macht, wie er könnte. Aus Angriff und Verurteilung entsteht keine Ermächtigung.

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Die Ermutigung, das eigene Leben am Schopf zu packen, verpufft zwischen all den Vorhaltungen einer angeblich ungenügenden Performance der meisten Frauen bei Gehaltsverhandlungen, Beziehungsfragen und im Bett. Dabei würde Funks Leistung kein Jota weniger beeindrucken, wenn sie Menschen, die ihre Bedürfnisse weniger klar wahrzunehmen vermögen oder weniger Zuversicht verspüren, mit mehr Empathie begegnete.

„Who Cares!“ hält kein Übersetzungsangebot bereit, wie es gelingen könnte, Mirna Funks Freiheit und Selbstwirksamkeit zu verspüren, wenn man nicht Mirna Funk ist. Es erweist sich als unglücklich, von der eigenen Lebenswahrnehmung aus strukturelle Theoriebildung zu betreiben. Gerade die dadurch entstehenden Ungereimtheiten aber regen zur Auseinandersetzung darüber an, wie mehr Menschen zu selbstwirksamem Handeln inspiriert werden können.

Veronika Settele

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