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Begehrlichkeiten. Corinna Kirchhoff und Nico Holonics.

© Matthias Horn/BE

Visconti-Premiere am BE: Autoritär verquer

Von der Leinwand auf die Bühne: „Die Verdammten“ nach Luchino Visconti im Berliner Ensemble.

„Jetzt geht’s los“, johlt eine Gruppe auserlesen stumpfer Männer auf der Bühne des Berliner Ensembles, als mache sie sich auf den Weg ins Fußballstadion. Es läuft dann aber mitnichten Union Berlin oder Borussia Dortmund auf. Sondern was „losgeht“, ist die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Mai 1933. Da lodern echte Flammen aus der Unterbühne, aber der analytische Ertrag bleibt umso überschaubarer: leider nicht der einzige Moment, in dem sich das Theater in geradezu ärgerlich unscharfen Analogisierungen ergeht, wo es doch eigentlich die große Analyse behauptet. „Welche Bündnisse und Mechanismen spielen Autokraten in die Hände? Was macht Menschen anfällig für autoritäre Strukturen?“ Nichts Geringeres als diese Fragen sollen laut Programmheft hier behandelt werden.

Sieht man vom besagten jungmännlichen Deppen-Trupp einmal ab, der auch an anderen Stellen des Abends nebulöse Anschlussfähigkeit an zeitenübergreifendes Elitenbashing performt, beschränkt sich der Regisseur David Bösch aber auf die illustrierende Nacherzählung. Hinterhergepinselt wird namentlich dem Luchino-Visconti-Film „Die Verdammten“ aus dem Jahr 1969.

Visconti bespiegelt darin, beginnend mit dem Reichstagsbrand und unter deutlichen Anspielungen auf die Krupp-Dynastie, die Machtkämpfe der Industriellenfamilie von Essenbeck während des Nationalsozialismus. Besonders der minderwertigkeitskomplexbehaftete Friedrich Bruckmann, der gern in den Clan einheiraten würde, instrumentalisiert die politischen Ereignisse für seine Karrierezwecke. Als Marionette des einflussreichen SS-Offiziers Aschenbach und getrieben von seiner Geliebten, der ehrgeizigen Witwe Sophie von Essenbeck, vernichtet er andere Familienmitglieder und mordet sich nach oben wie einst Shakespeares „Macbeth“.

Krupp und Macbeth, Nazis und Inzest – Visconti schillert

Viscontis Mixtur aus Geschichtsbetrachtung, Politthriller und opulentem Familienmelodram, in dem von Dekadenzorgien über Inzest bis zu Pädophilie nichts ausgelassen wird, galt schon damals als umstritten. Kritiker bemängelten die Schieflage zwischen der Ernsthaftigkeit des historischen Sujets und seiner schwülstigen Umsetzung.

David Bösch nimmt an diesem Punkt, 49 Jahre später, kaum Konturenschärfungen vor. Er klappert einfach brav die zentralen Plotstationen ab. Kein Diskurs, kein wirklich eigener Zugriff nirgends. Einziger Unterschied zur Filmvorlage: Dort, wo Visconti möglicherweise nur eindeutig ist, schwingt sich Bösch wacker zur Eineindeutigkeit auf.

Das Ergebnis ist ein veritabler Stereotypen-Cast. Der fängt beim extradumpf und superautoritär einherbrüllenden Seniorchef Joachim von Essenbeck alias Wolfgang Michael an und hört beim würstchenhaften Karrieristen Friedrich des Peter Moltzen noch lange nicht auf. Immerhin: So devot und weinerlich, wie der sich in den rauschenden Abendkleidfalten seiner von Corinna Kirchhoff auf Kühlschranktemperatur gespielten Geliebten Sophie verkriecht, gibt der Abend wenigstens Beziehungsrätsel auf. Was, um alles in der Welt, will diese aufstiegsgetriebene Lady Macbeth von diesem kümmerlichen Waschlappen?

Apropos Macbeth: Nicht nur Shakespeare fließt in Böschs Abend ein, sondern auch ein Brecht-Diktum; nämlich aus der Rede vom „ersten internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur“ 1935 in Paris. Er glaube nicht an die vom Himmel fallende „Rohheit“, sagte Brecht dort zur Verflechtung von Ökonomie, Industrie und Politik: „Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern von den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht werden können.“

Im BE findet Helmut Berger keinen Nachfolger

Genau dieses Zitat hörte man vor einigen Tagen schon einmal wenige Hundert Meter vom BE entfernt am Maxim Gorki Theater. Dort hatten die Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura auf der Folie jenes Schriftstellerkongresses überaus erhellend historische Parallelen wie Differenzen zur Gegenwart herausgearbeitet; unter dem Motto „Kultur verteidigen“.

Bei Bösch hingegen bleibt das alles angetippt, diffus, illustrativ. In einer Art Geschichtsbilderbogen, der auf Großleinwand eingeblendet wird, behauptet Walter Ulbricht noch einmal, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu bauen. Helmut Kohl verspricht „blühende Landschaften“. Und die von Essenbecks trudeln unterdessen an ihrer schwarzen Tafel unterm obligatorischen Lüster dem vorhersehbaren Ende entgegen.

Da orgelt die Soundkonserve, da tanzen Friedrich und Sophie auf dem Tisch – und nichts davon hilft über die Zähigkeit dieses pausenlosen Hundertdreißigminüters hinweg. Am allerwenigsten der Essenbeck-Spross Martin, der mit der Firma gar nichts am Hut, dafür aber diverse Rechnungen mit der Familie offen hat – und der am Ende als Alleinherrscher der Essenbeck’schen Stahlwerke übrig bleibt, fest in der Hand der Nationalsozialisten.

Bei Visconti wurde Helmut Berger in dieser Rolle berühmt; er spielte sie mit größtmöglicher Ambivalenz. Dagegen ist Nico Holonics bei Bösch ein eineindeutig abgehalftertes Jünglingswrack, dessen augenfällige Übertretungsleistung darin besteht, mit offenem Mantel überm nackten Oberkörper auf der Festtafel herumzuspringen: leider ein Sinnbild für den gesamten Abend.

Wieder am 14. 11. sowie am 1., 8. und 12. 12.

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