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© National Archives/U.S. Marine Corps

Streit um Ausstellung: Werkstatt der Erinnerungskulturen

Der Streit um die Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" wurde zum Lehrstück für die Einwanderungsgesellschaft.

In der Debatte ist etwas schief gelaufen. Darin sind sich auf dem Podium alle einig. Zum Ende der Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ in Berlin hat der Integrationsbeauftragte Günter Piening in die Neuköllner Werkstatt der Kulturen geladen, zur Diskussion über die Frage: „Wie viel Erinnerungskultur ist in der Einwanderungsstadt nötig?“. Sie bezieht sich auf die Entscheidung der Leiterin der Werkstatt, Philippa Ebéné. Sie hatte die Ausstellung in ihrem Haus abgelehnt, weil sie ihr inhaltlich nicht zusagte. Der Streit entzündete sich daran , dass Tafeln abgehängt werden sollten – die Ausstellung wurde dann stattdessen in den Uferhallen im Wedding gezeigt. Auf das Podium war Philippa Ebéné jedoch nicht eingeladen.

Piening, der die Diskussion selbst moderierte, wollte eine Debatte jenseits der Auseinandersetzung zwischen Ebéné und Ausstellungsmacher Karl Rössel. Also hielt er beide von der Veranstaltung fern, von jenem Ort also, in dem die Leiterin für ihr „Hausrecht“ gekämpft hatte. Der Abend sollte das Debakel endlich abschließen. Doch er stand im Zeichen des Zanks. Die Vorgeschichte schwang unweigerlich in allen Redebeiträgen mit.

"eine eurozentristische Sichtweise“

Die Ausstellung sei „von weißen Machern für weiße Zuschauer“ konzipiert, beanstandet Maureen Maisha Eggers, Professorin für „Diversity Studies“ an der Humboldt-Universität. Sie habe volles Verständnis für Ebéné. „So verdienstvoll die Motivation des Kurators ist, so sehr zeigt sich in der Ausstellung nach wie vor eine eurozentristische Sichtweise“, sagte auch der Politologe Joshua Kwesi Aikins, der die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ vertritt. Leider gebe es in Deutschland kein Bewusstsein für die eingeschränkte Sichtweise.

Ein Rückblick: Kurator Rössel präsentierte mit „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ eine umfassende Schau. Schrifttafeln, Videofilme und Hörstationen dokumentieren Schicksale von Menschen, die den Krieg jenseits von Europa erlebt haben, den Einsatz von 2,5 Millionen indischen Soldaten an der Seite der Alliierten und Millionen Opfer während des Pazifikkriegs. Ein großer Wurf, sagen die einen. Zu groß, monieren Kritiker, denn unter der Formel „Dritte Welt“ wurden Schicksale aus Lateinamerika, Afrika, dem Nahen Osten, Indien, Südostasien und Ozeanien zusammengefasst. Das Konzept war auch für Schulklassen vorgesehen. Es kam zum Eklat, noch bevor die Ausstellung eröffnet wurde.

Ende August gab Kurator Rössel eine Pressemitteilung heraus, in der von „Zensur“ und „Skandal“ die Rede war. „Völlig unerwartet“ habe die Leiterin der Werkstatt der Kulturen eine Woche vor der Vernissage mit Verweis auf ihr Hausrecht das Ultimatum gestellt, „der Ausstellungsteil über arabische NS-Kollaborateure dürfe in der Werkstatt der Kulturen nicht gezeigt werden“. Ebéné widersprach: Nicht allein die drei Schrifttafeln über arabische Nazi-Helfer lehne sie ab, sondern alle 18 Tafeln zu Kollaborateuren, wie etwa die zu indischen SS-Helfern. Deshalb habe sie von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht.

Drei Schlagwörter: Holocaustleugnung, Neukölln, Muslime.

Trotz des Zensurvorwurfs war Ebéné in den folgenden Tagen nur sporadisch erreichbar. Sie war aus familiären Gründen nach Süddeutschland gereist. Den medialen Zündstoff hatte sie offenbar unterschätzt. Die Folge war eine Kette misslicher Annahmen. Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky mutmaßte, Ebéné sei wegen der „Intervention arabischer Platzhirsche“ aus der Nachbarschaft eingeknickt, Medien sprachen vom „Kniefall von Neukölln“ („B.Z.“). Drei Schlagwörter kamen zusammen: Holocaustleugnung, Neukölln, Muslime.

Der Vorwurf: Ebéné habe Angst vor einem Wutausbruch im Migrantenmilieu, weil sich manche daran störten könnten, dass der Mufti von Jerusalem in der Ausstellung als Judenhasser gezeigt wird. Sie erhielt empörte Briefe und hasserfüllte E-Mails, die sie als „Antisemitin“ und „Faschistin“ bezeichneten, weil sie arabische Antisemiten in Schutz nehme.

Eine widersinnige Logik: Dass Großmufti Mohammed Amin al-Husseini ein Antisemit war, ist unter Arabern kein Geheimnis – einige verherrlichen ihn, andere betrachten den Mann als Schandfleck der arabischen Geschichte. Doch kein palästinensischer Platzhirsch würde auf die Idee kommen, auszurasten, weil der Mufti als der dargestellt wird, der er war. Bis heute hat sich kein arabischer Verband über die Ausstellung beschwert.

Und die Lehre?

Durch den Mufti-Streit geriet ins Hintertreffen, dass es der Afrodeutschen Ebéné um grundsätzliche Kritik ging und nie allein um arabische NS-Kollaborateure. Ebéné erklärte, sie habe eine „Hommage“ bestellt, die den Beitrag von „People of Color“ an der Seite der Alliierten im Zweiten Weltkrieg würdigt. Bereits bei ihrem ersten Treffen habe sie Rössels Konzept als „koloniale Inszenierung mit guten Eingeborenen und schlechten Eingeborenen“ kritisiert. Einen Vertrag zwischen Rössel und der Werkstatt der Kulturen habe es daher nie gegeben.

Vereine von schwarzen Deutschen und Migrantenorganisationen stellten sich hinter Ebénés Entscheidung. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Ruf der Werkstatt der Kulturen schon beschädigt. Einen Erklärungsversuch für die Schieflage in der Diskussion wagte am Mittwoch Ulla Kux, von der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“, dem finanziellen Hauptförderer des Projekts. Hier hätten zwei Gruppen aneinander vorbeidiskutiert: Eine „weiße, deutsche Fraktion“, die sich am Nahostkonflikt abgearbeitet habe, und eine Afrodeutsche, migrantische Fraktion, die sich über die mangelhafte Aufarbeitung des Kolonialismus in Deutschland ärgerte.

Und die Lehre? Beim Streit um die Weltkriegsschau sind zwei verschiedene Erinnerungskulturen aufeinandergeprallt. Neukölln wurde bei dem Versuch, ein globaleres Geschichtsverständnis zu etablieren, zum Testfeld . Im Nachhinein vielleicht sogar erfolgreich.

Ferda Ataman

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