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Die „Iuventa“ bei einem Einsatz im Mittelmeer vor der Beschlagnahme durch Italiens Justiz

© picture alliance / IUVENTA Jugen/-

Prozess gegen die „Iuventa“: Staatsanwaltschaft auf Sizilien sieht in Seenotrettung keine Schleusung mehr

Im seit sieben Jahren andauernden Prozess gegen die Besatzung des deutschen Rettungsschiffs zieht die Anklage ihren Vorwurf zurück. Dennoch ist der Schaden für die NGO immens.

| Update:

Nach sieben Jahren ist das Verfahren gegen den die Besatzung des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ anscheinend noch vor einem Urteil zu Ende gegangen. Die Anklagebehörde im sizilianischen Trapani forderte am Mittwoch selbst in ihrem Schlussplädoyer, das Verfahren einzustellen.

Zur Verblüffung selbst der Anklagten gab die Staatsanwaltschaft in der Verhandlung zu, dass ihre Hauptzeugen unglaubwürdig seien und dass es keine Belege für die Gesetzesverstöße gebe, die der Mannschaft der „Iuventa“ vorgeworfen wurden.

Die Anschuldigungen waren massiv. Zehn Besatzungsmitgliedern und zwölf weiteren Angeklagten hatte die Anklage ursprünglich Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Den Betroffenen drohten 20 Jahre Haft, die „Iuventa“ wurde beschlagnahmt. Vor zwei Jahren bereits wurden die Verfahren gegen sechs Crew-Mitglieder eingestellt.

Im Mittelpunkt stand die These der Anklage, dass das Schiff nicht Menschen aus Seenot gerettet hatte – eine ungeschriebene Pflicht von Seeleuten und durch internationale Verträge geschützt –, sondern sie von Schleppern direkt übergeben bekam.

Es drohten 20 Jahre Haft

Um dies zu beweisen, war die Brücke des Schiffs abgehört worden, Informanten wurden eingeschleust. Die Kapitänin des Schiffs, Pia Klemp, nannte es im Gespräch mit dem Tagesspiegel vor zwei Jahren „unfassbar, mit welcher Macht gegen die Zivilgesellschaft vorgegangen wird, um das Recht auf Rettung auszuhebeln“.

14.000
Schiffbrüchige nahm die „Iuventa“ nach eigenen Angaben zwischen 2016 und 2017 auf, bis zu ihrer Beschlagnahme auf Sizilien.

Das Urteil wird für Samstag erwartet. Das römische Innenministerium, das sich als Nebenklägerin eingeschaltet hatte, erklärte ebenfalls am Mittwoch seinen Rückzug. Man werde die Entscheidung des Gerichts abwarten.

Auch wenn jetzt der Freispruch folgen sollte, haben die sieben Jahre Prozess bleibende Folgen. Nach Angaben des Trägervereins „Jugend rettet“ hatte das Schiff bis zur Beschlagnahme 14.000 Schiffbrüchige aufnehmen können.

Jetzt ist die „Iuventa“ ist nach Angaben ihrer Eigner nicht mehr seetüchtig. Weil die Hafenbehörde von Trapani ihrer Pflicht, sie instand zuhalten, in den Jahren seit der Beschlagnahme nicht nachgekommen sei, habe man Anzeige erstattet, sagte Julia Winkler, die Sprecherin der Besatzung, dem Tagesspiegel.

Die Iuventa ist nicht mehr seetüchtig

Den materiellen Schaden – Anschaffungskosten plus Equipment – beziffert Winkler auf etwa 300.000 Euro. Für Anwaltskosten sei „ein sechsstelliger Betrag“ aufgelaufen. Auch der Trägerverein sei „nicht mehr funktional“.

So funktioniert der Rechtsstaat nicht. Anklagen dürfen erst nach gründlicher Ermittlung erfolgen.

Francesca Cancellaro, Rechtsanwältin

Die Anwält:innen erhoben nach der Erklärung der Staatsanwaltschaft heftige Vorwürfe gegen die Justiz. „Wir sind froh, dass die Staatsanwaltschaft nach sieben Jahren anderer Meinung geworden ist. Aber so funktioniert der Rechtsstaat nicht“, sagte Francesca Cancellaro, eine der Anwältinnen. „Anklagen dürfen erst nach gründlicher Ermittlung erfolgen, nachdem alle verfügbaren Beweise gesammelt sind.“

„Einen Prozess ohne die nötigen Grundlagen zu beginnen, ist Unrecht und belastet Angeklagte unnötig.“ Cancellaro wird in italienischen Medien auch mit dem Hinweis zitiert, dass alles, womit die Anklage jetzt ihren Rückzug begründe, bereits 2019 bekannt war. Schon damals hätten sie und ihre Kolleg:innen die Einstellung gefordert.

Ihr Kollege im Verteidigerteam Nicola Canestrini sagte dem Tagesspiegel, als Strafverteidiger sei er vorsichtig. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der Prozess nun anders als mit Freisprüchen enden wird.“

Und in diesem Fall hoffe er auf mindestens eine Korrektur der öffentlichen Meinung über Seenotrettung. „Genau dieser Prozess hat sie vergiftet“, so Canestrini Er frage sich, ob die Ermittlungen nicht politisch motiviert waren..

Das Wort von den „Meerestaxis“, die Behauptung, die Seenotretter steckten mit den Schleusern unter einer Decke, habe durch das Verfahren gegen die „Iuventa“ erst Gewicht bekommen. „In Trapani hat sich jetzt aber auch herausgestellt: Nein, so ist es nicht.“ Die Entscheidung des Gerichts wird im April oder Mai erwartet.

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