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Der Eingang zum Büro des Senatspräsidenten ist am Tag nach der Stürmung des Kongresses durch Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zerstört.

© dpa/ Eraldo Peres

Nach Sturm auf Regierungsviertel: Brasilien erhebt mehrere Hundert Anklagen gegen Bolsonaro-Anhänger

Die brasilianische Justiz steht nach den Unruhen Anfang Januar vor einer Herausforderung. Insgesamt sollen mehr als Tausend Anklagen geplant sein.

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen vom 8. Januar in der Hauptstadt Brasiliens steht die brasilianische Justiz vor der Mammutaufgabe, die Verantwortlichen der Aufstände vor Gericht zu bringen. Wenige Tage nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva hatten Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro mehrere Regierungsgebäude gestürmt und verwüstet.

Mehr als 1000 Anklagen insgesamt sollen wegen des Angriffs gegen Bolsonaro-Anhänger erhoben werden, sagte ein Staatsanwalt, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP.

Aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft hieß es, bislang seien bereits 254 Menschen wegen der Erstürmung des Regierungsviertels angeklagt worden, unter anderem auch wegen Beteiligung an einem versuchten Staatsstreich. Allein die Summe der Schäden am Präsidentenpalast und am Kongress beliefen sich demnach auf 13,6 Millionen Real (2,45 Millionen Euro).

Die Verhafteten

Mehr als 2000 Bolsonaro-Anhänger waren unmittelbar nach den Unruhen festgenommen worden, 300 von ihnen befanden sich direkt am Tatort. Die meisten Verdächtigen verhaftete die Polizei aber in einem Lager von Bolsonaro-Anhängern rund acht Kilometer entfernt, in das sie nach der Erstürmung von Präsidentenpalast, Kongress und Oberstem Gericht zurückgekehrt waren.

Die mutmaßlich rechtsradikalen Gewalttäter wurden getrennt von anderen Häftlingen in zwei Gefängnissen untergebracht, die Frauen im Colmeia-Gefängnis, die Männer im Papuda-Gefängnis.

Am 10. Januar wurden allerdings mehr als 600 Gefangene während der weiter laufenden Ermittlungen wieder auf freien Fuß gesetzt - vor allem ältere Menschen, schwangere Frauen oder Mütter mit kleinen Kindern - aus „humanitären Gründen“, wie die Polizei mitteilte. Andere wurden auch in ihre Heimatorte überführt.

Am 21. Januar ordnete das Oberste Bundesgericht (STF) in Brasilien die Freilassung von weiteren 464 Menschen unter Auflagen wie dem Tragen von Fußfesseln oder Hausarrest an. Bei 942 anderen nach den Unruhen festgenommenen Verdächtigen verfügte ein Richter wegen vorliegender Beweise, dass sie weiter in Haft bleiben müssen.

Die Anklagepunkte

Die Ermittlungen gegen die Gewalttäter leitet Staatsanwalt Alexandre de Moraes vom Obersten Bundesgericht. Die Beschuldigten erwartet eine Reihe von Anklagepunkten unter dem Oberbegriff „anti-demokratische Handlungen“.

Dazu gehören nach Angaben der Bundespolizei die Bildung einer kriminellen Vereinigung, der Versuch der Untergrabung der demokratischen Ordnung, die Anstiftung zu Straftaten und die Beteiligung an einem versuchten Staatsstreich. Nach dem brasilianischen Strafrecht kann der letzte Punkt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren geahndet werden.

Unmittelbar nach den Ereignissen war - auch von Lula - viel von „Terrorismus“-Anklagen die Rede, die eine Höchststrafe von 30 Jahren bedeuten könnten. Doch dieser Straftatbestand setzt voraus, dass die Tat aus religiösen, rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven begangen wurde.

Die Erstürmung der Regierungsgebäude war allerdings politisch motiviert. Daher könnte am Ende nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft „Terrorismus“ nicht als Anklagepunkt angeführt werden.

Die Anhörungen

Allein in den ersten zehn Tagen nach dem Sturm auf das Regierungsviertel wurden rund 1.400 Verdächtige angehört - wegen der großen Zahl der Verdächtigen per Videokonferenz. Richter und Staatsanwälte aus anderen Regionen wurden hinzugezogen.

„Es war eine Woche mit 18-Stunden-Tagen“, sagte der Staatsanwalt. Insgesamt arbeiteten etwa 100 Bundesstaatsanwälte und Hunderte Verteidiger an den rund 1400 Fällen.

Angesichts des beispiellos großen Falls sind noch viele Fragen offen: ob die Anklagen in einem Mammutprozess zusammengeführt oder in mehreren Prozessen verhandelt werden und ob das Oberste Gericht alle Fälle übernimmt oder auch untere Instanzen. Sicher ist nur eines: Es wird wohl Jahre dauern, bis alle Fälle abgeschlossen sind. (AFP)

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