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Russlands Präsident Wladimir Putin, Verteidigungsminister Sergei Shoigu und der neue Befehlshaber der russischen Truppen General Gerassimow.

© IMAGO/ZUMA Wire/ Mikhail Klimentyev/Kremlin

Kremlchef degradiert General: Putins Armee-Rochade als Warnung an die „Bluthunde“

Mit Waleri Gerassimow übernimmt ein Präsidenten-Getreuer das russische Kommando in der Ukraine. Rivalitäten im Kreml könnten den Schritt begünstigt haben.

Das ukrainische Verteidigungsministerium kommentierte die erneute Personalrochade des Kremls bei der Führung seiner „Spezialoperation“ süffisant: „Jeder russische General muss mindestens einmal die Gelegenheit haben, in der Ukraine zu scheitern. Einige haben vielleicht das Glück, zweimal zu scheitern.“

Der Tweet ist treffend. Denn mit dem bisherigen Generalstabschef Waleri Gerassimow, dem dritten Mann hinter Putin und Verteidigungsminister Sergei Shoigu im russischen Militär, übernimmt ausgerechnet derjenige das Kommando in der Ukraine, der das Chaos in den russischen Truppen zu Beginn des Krieges in zentraler Rolle mitzuverantworten hatte.

Über die utopischen Vorgaben von Putin, die massiven logistischen Probleme, sowie die teils mangelnde Ausrüstung zu dieser Zeit wurde breit berichtet. Ebenso wie über die hohen Opferzahlen unter den russischen Soldaten.

Gerassimow löst dabei Sergei Surowikin nach nur drei Monaten im Amt ab. Viele westliche Experten schätzten den nun geschassten Offizier deutlich kompetenter als seine Vorgänger ein.

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In seiner kurzen Amtszeit als Chef der russischen Einheiten in der Ukraine gelang es Surowikin, die russischen Truppen geordnet und ohne größere Verluste aus der belagerten Stadt Cherson abzuziehen. Die Verteidigungslinien wurden unter seiner Führung konsolidiert. Seine Reputation aus dem Syrien-Krieg und als Chef der Luftstreitkräfte verschaffte ihm bei Hardlinern, Soldaten sowie Söldnern Rückhalt.

Und anders als bei seinen Vorgängern sollen die Einschätzungen über mögliche Kriegsziele deutlich realistischer ausgefallen sein. Der Kreml veränderte in dieser Zeit zunehmend seine Kommunikation, weg von der Erzählung eines schnellen und einfachen Sieges.

Surowikins Degradierung zum Co-Chef dürfte somit vor allem aus machtpolitischen Gründen erfolgt sein. „Diese Geschichte hat alles: interne Machtkämpfe, Eifersucht“, schreibt die renommierte US-Kriegsanalystin Dara Massicot über das Gebaren im Kreml.

 Eine Zurechtweisung Prigoschins?

Mit der Beförderung Gerassimows vollzieht Putin zweifellos eine Stärkung des zuletzt arg kritisierten Verteidigungsministeriums. Insbesondere der Chef der Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, benutzte die russische Armee „als Punchingball“, wie es Russland Experte Andras Racz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit dem Tagesspiegel beschrieb.

Prigoschins Söldner kämpfen vor allem in der Donbass-Region. Dabei versucht der Wagner-Chef immer wieder sich und seiner Privat-Armee eine zentrale Rolle im Krieg zuzuschreiben. Ausbleibende Erfolge wälzte er hingegen öffentlichkeitswirksam auf Verteidigungsminister Shoigu und eben Generalstabschef Gerassimow ab. Surowikin wiederrum galt als Favorit Prigoschins.

Die Analysten des amerikanischen Militär-Think-Tanks „The Institute for the Study of War“ werten den Personalwechsel deshalb als Signal des Kremls an Prigoschin und andere Akteure wie den Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow und Ex-Militärs, es mit ihrer Kritik am Verteidigungsministerium nicht zu weit zu treiben. Kadyrow wird häufig als Putins „Bluthund“ beschrieben.

Die Ernennung Gerassimows könnte Kritiker wie Prigoschin jedoch genau zum Gegenteil veranlassen, schreibt das ISW. Sie könnten nun noch stärker gegen die Kriegsführung des Kremls vorgehen.

Putin wirkt zunehmend nervös und bricht mit einer langbewährten Strategie

In diesem Zusammenhang kann die Entscheidung Putins als Zeichen der Nervosität gewertet werden. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen der einzelnen Militärakteure lenkte die Aufmerksamkeit weg vom Kremlchef. Zum Beispiel wenn russische Soldaten ihre Stellungen preisgaben und anschließend von ukrainischen Präzisionsschlägen getötet wurden.

Was kann der neue – alte Befehlshaber?

Unklar ist, inwieweit sich Russlands militärische Strategie unter der Führung Gerassimows verändern wird. Expertin Masicott hält es jedoch für möglich, dass sich die Ereignisse aus den ersten Kriegswochen wiederholen könnten.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Russen von ihren müden Streitkräften etwas verlangen, was sie nicht bewältigen können, steigt exponentiell“, bewertet sie den Personalwechsel. Gerassimow hätte bereits im Februar 2022 die Befehle Putins nicht kritisch hinterfragt und werde dies auch jetzt nicht tun.

Eine Einschätzung, die auch der Experte für russische Sicherheitspolitik, Mark Galeotti, teilt. „Es liegt jetzt an [Gerassimow], und ich vermute, dass Putin wieder unrealistische Erwartungen hat“, schreibt der Leiter das Zentrums für Europäische Sicherheit am Institut für Internationale Beziehungen in Prag auf „Twitter“.

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