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Immanuel Wilkins

© Rog Walker Berliner Festspiele

Immanuel Wilkins beim Jazzfest Berlin: Hände hoch

Wie durch ein Kaleidoskop geschaut: Der Saxofonist Immanuel Wilkins spielt mit seinem Quartett beim Jazzfest im A-Trane.

Es gibt Musik, die sich einem auf ganz unterschiedliche Art erschließt. Immanuel Wilkins zweites Studioalbum „The 7th Hand”, das Anfang dieses Jahres auf dem Label Blue Note erschien, gehört in diese Kategorie. Beim ersten Hören ist es das atemberaubende musikalische Handwerkszeug des Quartetts, das sofort beeindruckt – neben der stilistischen Bandbreite ihrer klanglichen Erkundungen.

Die Musik springt zwischen Polen, sie drängt gleichzeitig nach Innen und Außen, wandelt durch Konsonanz und Dissonanz: Post-Bop-Stücke wie „Emanation”, auf denen Wilkins sich kantig über ein schematisch-abstraktes harmonisches Gerüst bläst, stehen neben Nummern wie dem nachdenklichen „Fugitive Ritual, Selah”, auf dem sich die Gruppe ganz in den Dienst der Melodie stellt und die Zuhörenden zum Mitsingen einlädt.

Wirft man jedoch einen tieferen Blick auf die Symbolik des Werks, eröffnen sich andere Interpretationsräume. Das Werk des 24-Jährigen setzt sich nämlich explizit mit dem Schwarzsein auseinander, besonders aus spiritueller Hinsicht. Wilkins ist Christ, die sieben Hände im Albumtitel eine biblische Referenz. Sechs sei die Grenze des Menschlichen, erläuterte Wilkins zur Veröffentlichung des Albums, die Zahl Sieben stelle den Eingriff des Göttlichen dar.

Im Laufe der sieben Titel des Albums werden Wilkins und seine Mitspieler immer mehr zu Gefäßen, in denen sich die göttliche oder spirituelle Eingebung musikalisch manifestiert. Ein Konzept, das in den schwarzen Kirchen der USA und in westafrikanischen und karibischen religiösen Praktiken wie Candomblé eine zentrale Rolle spielt.

„Die gehobenen Hände in der Kirche sind ein Symbol der Preisung, oder?“

Auf „The 7th Hand” kulminiert das in dem Abschlussstück „Lift”, einer 26-minütigen Eingebung, auf der bis auf eine geschriebene Note alles improvisiert ist. Daneben äußerte Wilkins jedoch auch weltliche Aspekte: „Die gehobenen Hände in der Kirche sind ein Symbol der Preisung, oder? Aber dieselben Hände werden auch gegenüber der Polizei gehoben”, sagte der US-Musiker in einem Zeitungsinterview zur Bildsprache des Albumcovers.

Im Club A-Trane in Charlottenburg stellt der Saxofonist am Freitag im Rahmen des diesjährigen Jazzfests die Stücke seines jüngsten Albums sowie des Erstlingswerks „Omega” von 2020 vor. Die vier jungen Musiker fackeln nicht lange: Eine kurze Einleitung, eine knappe Verabschiedung, mehr hört man nicht von Wilkins am Mikrofon an diesem Abend. Dagegen umso mehr an seinem Horn: Stolze zwei Stunden spielt das Quartett, mit einer kurzen Pause.

Blitzschnell steigen die in New York lebenden Musiker auf dem Stück „Warriors” ein, pendeln sich in einem rasanten Swingtempo ein und zeigen dabei ihre ganze intellektuelle Finesse. Schlagzeuger Kweku Sumbry spielt immer wieder lange Soli über Vamps – also sich zyklisch wiederholenden, kurzen Akkordabfolgen – und bratzt dabei präzise an der Grenze des Erträglichen. Als er einmal das Ride-Becken besonders energisch trifft, hält sich ein älterer Mann im Publikum das rechte Ohr zu.

Pianist Mikah Thomas sitzt stoisch am Flügel, bewegt sich kaum. Dafür sind seine disparaten, sich hoch und runter schaukelnde Single-Note-Linien konstant im Fluss. Er verziert sie rhythmisch kaum, spielt nur wenige Triolen.

Auch auf der Berliner Bühne präsentiert Wilkins sein Feingefühl in der Phrasierung, wenn er mit luftigem Vibrato und behutsam strahlendem Ton jene Gospel-Melodien spielt, die sich durch „The 7th Hand” ziehen. Wie durch ein Kaleidoskop schaut man an diesem Abend in auf die vielfältigen Facetten der jungen Jazz-Avantgarde aus New York.

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