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Gesundheit: Was am deutschen Studenten so deutsch ist

Zum Sprachunterricht gehört häufig nicht viel: Die Stunde beginnt, das Lehrbuch wird aufgeschlagen, und nach dem Unterricht schwirren im Kopf unzählige neue Verbformen und Deklinationen umher. Im Russisch-Unterricht von Sergej Logwinow an der Universität Marburg ist das anders.

Zum Sprachunterricht gehört häufig nicht viel: Die Stunde beginnt, das Lehrbuch wird aufgeschlagen, und nach dem Unterricht schwirren im Kopf unzählige neue Verbformen und Deklinationen umher. Im Russisch-Unterricht von Sergej Logwinow an der Universität Marburg ist das anders. Zu seinem Unterrichtsmaterial gehören CDs mit neuester russischer Popmusik, Zeichentrickfilme und Kochrezepte, die sofort ausprobiert werden. Und manchmal bringt er sogar russische Freunde mit, die die Studenten mit Sangeseinlagen erfreuen - mitsingen ist ausdrücklich erwünscht. Denn Logwinows Studenten sollen nicht nur Russisch lernen, sondern Russland und die russische Kultur verstehen.

Der 25-jähriger Moskauer ist einer von 67 Nachwuchsakademikern, die im Rahmen eines Tutorenprogramms der Robert-Bosch-Stiftung und des Deutschen Studentenwerkes an deutschen Universitäten die Sprache und Landeskunde ihres Heimatlandes unterrichten. Seit zehn Jahren besteht das Programm, und Ulrich Bopp, Geschäftsführer der Robert-Bosch-Stiftung, betonte anlässlich des Jubiläums, dass die Tutoren "die etwas unterentwickelte Internationalität an deutschen Hochschulen verbessern". "Botschafter ihres Landes" sollen die jungen Tutoren sein, sagt Bopp. Wie sie ihren Unterricht gestalten, ist ihnen frei gestellt: Ihre eigene Kreativität ist gefragt. Deswegen pauken Logwinows Studenten nicht nur kyrillische Buchstaben, sondern erfahren gleichzeitg etwas über russische Politik, Musik, Film und Theater.

Woran man eine Grüne erkennt

Entstanden ist das Tutorenprogramm Anfang der neunziger Jahre, weil viele junge Amerikaner den Zusammenbruch des Sowjetsystems mit eigenen Augen sehen wollten. 15 Absolventen aus Yale und Harvard starteten ihren Unterricht an ostdeutschen Universitäten. Inzwischen unterrichten Tutoren aus Frankreich, Russland, Polen und Tschechien an Hochschulen in ganz Deutschland. Deutsche Absolventen fahren im Gegenzug jedes Jahr ebenfalls nach Mittel- und Osteuropa und bringen den dortigen Studenten die deutsche Sprache und Kultur näher.

Deutsche Studenten seien viel mehr durch das Parteiensystem geprägt, als ihnen wahrscheinlich bewusst sei, hat Logwinow bei seinem Aufenthalt festgestellt. Das sieht er auch bei seinen beiden Mitbewohnern: "Er ist typischer CDU-Jurist, sie grüne Psychologin." Das könne man sogar am Abwaschverhalten ausmachen: "Der CDU-Jurist spült Geschirr sofort nach dem Essen, die grüne Psychologin grundsätzlich erst am nächsten Tag." Seine amerikanische Kollegin Greta Gao, die als Tutorin in Potsdam lehrt, meint zwar, dass "deutsche Studenten im Prinzip wie amerikanische sind. Die hören sogar die gleiche Musik." Überrascht musste sie aber feststellen, dass ihre Studenten noch immer in West- und Ostdeutsche unterscheiden. "Ich dachte, dass seien längst Out-Begriffe", wundert sich die 22-Jährige.

Zu alt die Studenten, zu voll die Hörsäle, lauten die häufigsten Vorwürfe gegen deutsche Hochschulen. Gar nicht so schlimm, meinen die ausländischen Gäste. Dass seine Kommilitonen in dem Politikseminar, das Logwinow nebenbei belegt, im Durchschnitt so alt sind wie er als Absolvent, findet er nicht schlecht: "Russische Studenten sind zwar jünger, gleichen dafür eher Schülern. Das hebt bei uns nicht unbedingt das Niveau der Seminar-Diskussionen."

Lob auf die akademische Freiheit

Vorteilhaft findet er auch, dass die deutschen Studiengänge nicht so verschult sind: "Wenn deutsche Studenten wollen, können sie an der Uni Motivation und Eigeninitiative lernen. Das ist im russischen System nicht möglich." Gao, die an der amerikanischen Elite-Universität Yale studiert hat, sieht im gebührenfreien Studium das Prinzip verwirklicht, dass "Ausbildung ein menschliches Recht ist." Eine ihrer Freundinnen habe nicht an ihrem Lieblingscollege studieren können, da die Gebühren zu hoch waren. "Gerecht ist das nicht gerade", kommentiert sie.

Wer Lust verspürt, nach seinem Studium eine "experimentelle Phase" (Bopp) im Lehrbetrieb einer ausländischen Uni einzulegen, kann sich für das kommende Studienjahr bis zum Ende des Monats bei der Bosch-Stiftung bewerben. Und schon mal überlegen, ob die Studenten des Gastlandes eher Kartoffeln mit Quark oder Currywurst, Heinz Rühmann oder Franka Potente, Beethoven-Sinfonien oder die Punksongs von den Toten Hosen kennen lernen sollten, um Deutschland besser zu verstehen. Oder alles zusammen.

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