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Eine Frau liegt auf einem Sofa und schaut sich ein Video auf der Social-Media-Plattform Instagram auf ihrem Handy an.

© dpa/Weronika Peneshko

Psycho-Diagnose per Tiktok oder Instagram?: „Viele Ratgeber werden der Komplexität nicht gerecht“

Psychologen und solche, die es gern wären, tummeln sich in den sozialen Medien und schrecken auch vor Ferndiagnosen nicht zurück. Hilfesuchende kann das verunsichern.

Von Weronika Peneshko, dpa

Sind Sie manchmal unkonzentriert? Finden Sie oft blaue Flecken an sich, weil Sie immer wieder gegen Möbel stoßen? Und blödeln Sie manchmal herum? Tja, dann wird das vermutlich ADHS sein. Solche und ähnliche pauschale Diagnosen werden in bestimmten Filterblasen in sozialen Medien wie Instagram oder Tiktok exzessiv vergeben. „Das ist aktuell ein großes Thema“, sagt der Medienpsychologe Joachim Schmidt. „Mir werden solche Angebote ständig um die Ohren gehauen.“

Viele Ratgeber werden der Komplexität eines Krankheitsbildes nicht gerecht.

Joachim Schmidt, Medienpsychologe

Sucht man etwa nach dem Stichwort „Psychologie“ auf Instagram, werden einem auf Anhieb Dutzende Profile angezeigt. Erweitert man die Suche auf die englischsprachige Welt, sind es noch viel mehr, mit teilweise Hunderttausenden Abonnenten. Die Psychologin Angelina Hahn nimmt ein sehr diverses Angebot an therapeutischen Inhalten wahr. „Es gibt gute Therapeuten und Ärzte, die Themen rund um psychische Gesundheit der breiten Masse verfügbar machen“, sagt sie. „Es gibt aber auch Laien, die das vielleicht gerade erst studieren.“

Zwei Psychologen haben klare Positionen dazu

Was sich nach dummem Internetgequatsche anhört, muss aber nicht immer negativ sein. Die Experten können dem Ganzen jedenfalls auch Positives abgewinnen. „Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass mehr über psychische Krankheiten gesprochen wird, und vor allem junge Menschen für diese Themen sensibilisiert werden“, sagt Schmidt. Auch Hahn hebt hervor, „dass das Thema auf diese Weise den Menschen zugänglich gemacht wird“. Bei der älteren Generation wäre das vielleicht noch ein Tabu gewesen. Die Angebote im Internet reduzierten ihrer Meinung nach auch die Hemmschwelle, sich echte Hilfe zu suchen.

Denn: Im Netz geht es natürlich nicht nur um ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). „Depression, Narzissmus, Ängste: Das sind Diagnosen, die in solchen Beiträgen oft vorkommen“, sagt Schmidt. Das liege seiner Ansicht nach auch daran, dass solche Krankheitsbilder auf den ersten Blick vermeintlich einfacher erkennbar seien. Doch die vermeintlichen Experten können sich täuschen.

Keine Patentlösung für psychische Leiden

Vorsicht sei auch bei Selbstanalysen geboten, so der Psychologe. „Bei meinen Klienten stelle ich immer wieder fest, dass sie sich die Infos aus Social Media besorgen und dann versuchen, das auf ihr eigenes Empfinden anzuwenden“, sagt Schmidt. „Selbstdiagnosen sind aber zweifelhaft bis gefährlich und oft nicht passend.“

Genau wie andere medizinisch Fragen setze auch die Diagnose einer psychischen Erkrankung viel Wissen und Handwerkszeug voraus. Es gebe außerdem keine Patentrezepte, da sich gerade psychische Krankheiten auch sehr individuell ausprägen könnten. „Viele Ratgeber werden der Komplexität eines Krankheitsbildes nicht gerecht“, sagt Schmidt.

Psychische Krankheiten sind kein Randphänomen

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen rät, die Profile der Anbieter genau zu überprüfen „Wer gibt die Informationen heraus, welche Interessen können damit verbunden sein, wie seriös und vertraulich ist die Quelle und wie vollständig wird informiert?“, sagt Verbandspräsidentin Thordis Bethlehem. Sie mahnt zur Vorsicht: Menschen sähen in Krisen kaum eigene Stärken und Chancen. Der Fokus auf Belastungen, Probleme und Defizite mache sie empfänglich für Selbstdiagnosen. Therapie „aus der Gießkanne“ werde dem, was Menschen bräuchten, allerdings nicht gerecht.

In Deutschland seien jedes Jahr etwa ein Viertel der erwachsenen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Von diesen fast 18 Millionen Menschen nähme jedoch nur knapp ein Fünftel (18,9 Prozent) Kontakt zu Experten auf.

Aktuellen Zahlen zufolge gehören Angststörungen, affektive Störungen wie Depressionen sowie Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Menschen mit psychischem Leiden haben statistisch gesehen eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung.

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