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Dialyse, die sogenannte Blutreinigung, führt jene Aufgaben aus, welche die Niere bei einem gesunden Menschen übernimmt.

© dpa/photothek/Ute Grabowsky

„Meine Niere wird bald 100 Jahre alt“: Wie ein Spenderorgan Heiko Burracks Leben gerettet hat

Heiko Burrack ist seit seiner Jugend nierenkrank. Eine Spenderniere hat ihm fast 30 unbeschwerte Lebensjahre geschenkt. Er möchte mehr Menschen zum Lebenretten motivieren.

Von Beatrice Vogel

Im Alter von 17 Jahren ist Heiko Burrack kollabiert. Seine Nieren hatten versagt. Warum, ist nicht genau geklärt. Wahrscheinlich hatte sein Immunsystem nach einer Bakterieninfektion die Nieren angegriffen.

Fortan musste er dreimal wöchentlich zur Dialyse. Die sogenannte Blutreinigung führt jene Aufgaben aus, welche die Niere bei einem gesunden Menschen übernimmt: Unter anderem filtert sie Schadstoffe aus dem Blut und entzieht dem Körper überschüssiges Wasser. Denn ohne Nieren kann auch kein Harn ausgeschieden werden.

Heiko Burrack hat trotz der Einschränkungen durch die Dialyse die Schule beendet und studiert. Und er hatte Glück: Im Alter von 24 Jahren erhielt er eine Spenderniere.

„Diese Niere hat mir 29 wunderbare Jahre beschert“, sagt der Wahlfreiburger, der heute Mitte 50 ist. Er konnte reisen, hat sich als Marketingberater selbstständig gemacht und mehrere Bücher geschrieben – darunter das Buch „Leben hoch zwei. Fragen und Antworten zu Organspende und Transplantation“.

Diese Niere hat bereits zwei Leben gelebt.

Heiko Burrack über das Organ, das ihm gespendet wurde.

Die Nierenwerte von Heiko Burrack waren über 20 Jahre fast jene eines Gesunden. Doch in den letzten Jahren haben sie sich verschlechtert. Und seit Anfang dieses Jahres ist er wieder an der Dialyse.

Gründe für die erneute Niereninsuffizienz gibt es mehrere. „Das Alter meiner Spenderniere dürfte eine Rolle spielen“, sagt Heiko Burrack, „sie wird bald 100 Jahre alt“. Die damalige Spenderin sei bei ihrem Tod 68 Jahre alt gewesen. „Diese Niere hat also bereits zwei Leben gelebt und eine Menge erlebt.“

Immunsuppressiva schädigen die Niere

Ein anderer Grund sind die Immunsuppressiva, die man nach einer Organtransplantation dauerhaft einnehmen muss, damit der Körper das Organ nicht abstößt. Sie schädigen ihrerseits die Funktion der Niere. Dagegen lasse sich leider nicht viel machen, außer dass die Dosierung nur so hoch eingestellt wird, dass der Funktionsverlust möglichst klein ist, sagt Kai-Uwe Eckardt. Er ist Direktor der Klinik für Nephrologie und Internistische Intensivmedizin der Charité in Berlin.

Die Niere von Heiko Burrack hat lange funktioniert. Nicht bei allen Organspenden ist der Verlauf so gut. „Mit dieser Lebenszeit der Niere falle ich aus jeder Statistik“, sagt er.

Noch funktioniert Heiko Burracks Niere teilweise, aber nicht genug, um auf die Dialyse zu verzichten. Das Dialysieren ermöglicht einem Nierenpatienten zwar das Überleben, schränkt aber gleichzeitig die Lebensqualität massiv ein. Da sind zum einen die vier Stunden, die man pro Behandlung am Gerät sitzt – plus der Zeitaufwand für die An- und Rückreise. Und das alles dreimal in der Woche. So manchem Patienten ist es daneben kaum möglich, einer Arbeit nachzugehen.

Zum anderen ist die Ernährung eingeschränkt. Da man nicht urinieren und der Entzug von großen Mengen Wasser bei der Dialyse zu Komplikationen wie Blutdruckabfall oder Muskelkrämpfen führen kann, dürfen Patienten nicht zu viel trinken oder viele wasserhaltige Nahrungsmittel essen.

Ein Patient, der selbst gar keinen Urin mehr ausscheidet, darf täglich nur etwa 700 Milliliter Wasser zu sich nehmen. Heiko Burrack: „Heute fällt mir das leichter als früher, sicherlich, weil ich noch Wasser ausscheide. Als Student war es nicht so einfach, sich an die Diät zu halten, weil man von Gleichaltrigen umgeben ist, die natürlich viel trinken.“ Seinerzeit sei die Diät insgesamt deutlich rigider gewesen.

Frustrierende Wartezeit auf eine Spenderniere

Was Heiko Burrack aber als viel frustrierender empfindet als das Dialysieren, ist die lange Wartezeit auf eine Spenderniere. „In Deutschland wartet man durchschnittlich zehn Jahre, in anderen Ländern weniger als halb so lange.“ Die Wartezeit sei je nach Organ ein traumatischer Prozess, erzählt er. Eine Freundin von ihm, die auf eine Lunge warte, baue trotz ständiger Sauerstoffzufuhr sehr schnell ab. Und auf manche Organe – beispielsweise eine Leber – können Patienten nicht lange warten, weil es keine Organersatzverfahren wie Beatmungsgeräte oder Dialyse gibt.

6700
Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für eine Nierentransplantation.

Für kein anderes Organ ist die Warteliste in Deutschland so lang wie für eine Niere. Laut dem Jahresbericht 2022 der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) standen Ende letzten Jahres rund 6700 Menschen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Laut Kai-Uwe Eckardt sind das weniger als zehn Prozent der Dialysepatienten. „Aber der Anteil derjenigen, die in Hinblick auf Lebensqualität und Lebensdauer von einer Transplantation profitieren würden, ist vermutlich mehr als doppelt so hoch“, sagt der Nierenspezialist.

Kai-Uwe Eckardt ist Professor an der Charité in Berlin. Er leitet die medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nierenerkrankungen und internistische Intensivmedizin.

© Simone Baar

Dass sich viele Patienten nicht auf die Warteliste setzen lassen oder damit warten, hat Eckardt zufolge verschiedene Gründe. Manche scheuten den Aufwand der zahlreichen Voruntersuchungen, zumal die Chance einer zeitnahen Transplantation gering ist. Da die Wartezeit ab der ersten Dialyse zählt, empfinden manche angesichts langer Wartezeiten auch keine Dringlichkeit. Für andere ist die lebenslange Einnahme von Immunsuppressiva keine Option, und insbesondere Ältere verzichten auf eine Transplantation, weil sie sich gut mit der Dialyse arrangieren können.

Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn man nach der Transplantation wieder pinkeln kann.

Heiko Burrack über das Leben mit einer Spenderniere

Auch Heiko Burrack hat sich noch nicht auf die Warteliste für ein neues Organ setzen lassen. Der Grund: Zu den Voruntersuchungen, die für einen Eintrag in die Liste nötig sind, gehört auch eine Herzuntersuchung mit dem Kontrastmittel Jod. Aber Jod schädigt die Niere. „Und solange meine Niere noch eine Restfunktion hat, möchte ich diese nicht zunichtemachen.“

Diese Restfunktion, die es ihm unter anderem noch ermöglicht, ein wenig zu urinieren, ist für Heiko Burrack sehr wichtig. „Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn man nach der Transplantation wieder pinkeln kann. Auch wenn dies bei mir gerade nicht vollständig passiert, erhöht es die Lebensqualität massiv.“

Im Zweifelsfall lehnen viele Angehörige die Organentnahme ab

Weil die Wartelisten lang sind, wäre es nötig, dass sich viele Menschen als Organspender registrieren lassen – oder dass sich die Angehörigen eines Verstorbenen entscheiden, dessen Organe zu spenden. Doch die Realität sieht anders aus. Nur eine Minderheit besitzt einen Organspenderausweis.

Gleichzeitig mit der Nachricht über den plötzlichen Tod eines nahestehenden Menschen über die Organspende zu entscheiden, bedeutet eine enorme Belastung.

Kai-Uwe Eckardt, Nephrologe und Intensivmediziner

Und nach der Statistik der DSO gab es im letzten Jahr knapp 1500 potenzielle Organspender, deren Wille nicht bekannt war. In 57 Prozent dieser Fälle lehnten die Angehörigen ab. Noch deutlicher ist es, wenn die Angehörigen den Willen des Verstorbenen nicht einmal vermuten können: Wenn sie nach eigenem Ermessen entscheiden, wird in 80 Prozent der Fälle einer Organspende nicht zugestimmt.

„Gleichzeitig mit der Nachricht über den plötzlichen Tod eines nahestehenden Menschen über die Organspende zu entscheiden, bedeutet eine enorme Belastung. Viele Menschen sind dann verständlicherweise überfordert und entscheiden sich im Zweifel dagegen“, sagt Kai-Uwe Eckardt.

Auch Heiko Burrack kann Angehörige verstehen, die überfordert sind und sich – bei Unsicherheit über den Willen des Verstorbenen – im Zweifelsfall gegen eine Organspende entscheiden. Der wichtigste Grund ist aus seiner Sicht folgender: „Ein Hirntoter sieht nicht tot aus. Bei einem lebendig wirkenden Körper ist es schwer zu verstehen, dass dieser tot sein soll.“

Doch: „An der Irreversibilität eines Hirntodes gibt es keinen Zweifel“, sagt Kai-Uwe Eckardt. Für die Diagnose eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls gebe es sehr detaillierte Kriterien und die Prozesse der Feststellung seien stark reglementiert, viel stärker als bei der Feststellung anderer Todesformen. Nur Maschinen sorgen dann dafür, dass der Körper noch teilweise funktioniert und lebendig erscheint. Wenn keine Organe entnommen werden, stellen die Ärzte nach der Hirntoddiagnose die Maschinen ab.

Für Heiko Burrack ist deshalb klar: „Man wird nicht wieder lebendig nach einem Hirntod. Warum also nicht einem anderen Menschen das Leben retten?“ Wer unsicher sei, ob er seine Organe oder jene eines Angehörigen spenden soll, müsse sich vor Augen führen, dass man damit vielen anderen Menschen das Leben schenken könne: „Das ist doch wundervoll“, sagt er und plädiert deshalb dafür, dass man Organspender respektive deren Angehörige öffentlich ehren soll, denn sie haben eine Vorbildfunktion.

Vor allem aber ist sein Appell: „Jeder sollte eine Entscheidung treffen und diese festhalten und/oder seinen Angehörigen mitteilen.“ Nur dann funktioniere das Spendersystem in Deutschland.

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