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Gesundheit: Forscher gehen gegen das lahme Interesse für DDR-Geschichte an

Das Bürgerhaus in Potsdams Mitte hat schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Am Eingangsportal blättert der Putz ab, die Dielen im Treppenhaus knarren bei jedem Schritt.

Das Bürgerhaus in Potsdams Mitte hat schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Am Eingangsportal blättert der Putz ab, die Dielen im Treppenhaus knarren bei jedem Schritt. Das verwinkelte Gebäude scheint voller Erinnerungen zu stecken - offenbar der richtige Ort, um sich mit Geschichte zu befassen. Mehr als 20 Geisteswissenschaftler untersuchen im "Zentrum für zeithistorische Forschung" (ZZF) die jüngste deutsche Historie. In der vierjährigen Existenz fegte so mancher Sturm der Kritik über das Institut hinweg. Doch das Haus steht noch.

Christoph Kleßmann und Konrad Jarausch leiten das Institut, in dem sich Historiker, Politologen und Soziologen vorrangig mit der DDR-Vergangenheit befassen. Beide stammen aber nicht aus den neuen Bundesländern. Kleßmann kommt aus Bielefeld, Jarausch aus den USA. Der Weg nach Brandenburg fiel ihnen nach eigener Aussage nicht schwer. Mit der räumlichen Nähe zum Forschungsobjekt wollen sie auch ihrem wissenschaftlichen Ziel dienen: der Verknüpfung von Herrschafts- und Alltagsgeschichte. "Wir wollen die Normalität einer Diktatur erforschen", sagt Jarausch, "denn ohne Normalität funktioniert keine Diktatur".

Jenseits von Verdammung

Das Konzept kommt bei vielen Ostdeutschen an. Sie fühlen sich offenbar besser verstanden, wenn Historiker ihre Geschichte "jenseits von Verdammung und Verklärung" darstellen, so wie es sich die Potsdamer auf die Fahnen geschrieben haben. Im letzten Sammelband "Deutsche Vergangenheiten, eine gemeinsame Zukunft" erforschten Potsdamer Autoren und Wissenschaftler, die dem Zentrum nahe stehen, die deutsch-deutsche Vergangenheit an Fallbeispielen. So ging Dorothee Wierling der Frage nach, warum es in der DDR keine 68er Generation gab - trotz der Zäsur des "Prager Frühlings" und dessen Niederschlagung durch sowjetische Panzer. Die ostdeutsche Jugend, die viele Hoffnungen auf den Wandel im Nachbarland gesetzt hatte, habe auf Grund ihres gesellschaftlichen Anpassungsdrucks nicht gegen den Einmarsch protestiert. Im Gegensatz dazu, so Wierling, wurden zur gleichen Zeit in Westdeutschland Reformen an die 68er Generation "delegiert" - freilich nicht ohne Widerstände.

Für Jarausch sind solche Untersuchungen beispielhaft für eine "integrierte Geschichte" von Ost- und Westdeutschland, wie sie das Potsdamer Zentrum plant. Diese gemeinsame Geschichte dies- und jenseits der Mauer soll sich an Problemen orientieren und Vergleiche nicht scheuen. Jarausch nennt als Beispiel die Zwangskollektivierungen in Ostdeutschland und auf der anderen Seite des Grenzstreifens die finanziell bedingten Landverkäufe bundesdeutscher Bauern. Zwar seien beide Vorgänge nicht gleichzusetzen, das Problem hinter diesen Entwicklungen sei aber ähnlich: die "Unrentablität kleiner landwirtschaftlicher Flächen".

Manche halten diese Herangehensweise für eine Verniedlichung der SED-Diktatur. Immer wieder mussten sich die Potsdamer Kritik an ihrer sozialwissenschaftlichen Herangehensweise anhören - unter anderem vom Münchner Institut für Zeitgeschichte und vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Letztere empfehlen eher die Totalitarismustheorie zur Bewertung der kommunistischen Vergangenheit, die von einer vollständigen Herrschaft einer zentralen Staatsgewalt über jedes Individuum ausgeht. Kleßmann hält diesen Ansatz für eine "Gesamtbetrachtung" der DDR-Geschichte nicht für brauchbar, sondern nur für die Untersuchung der Herrschaftsmethoden. Der "Eigensinn" des Alltagslebens werde damit nicht erfasst.

Aber müssen Historiker Rücksicht auf ihren Untersuchungsgegenstand nehmen? Diese Frage wurde den Potsdamer Forschern in den letzten Jahren immer wieder gestellt - nicht zuletzt deshalb, weil dort die Hälfte der Wissenschaftler schon in der DDR Geschichte erforschte. Dieser Umstand sorgte im ZZF selbst für heftige Kontroversen. Inzwischen sieht Jarausch die Sache gelassen. Auf Fragen nach den Ausweinandersetzungen um die Deutungsmacht von Geschichte sagt er nur: "Die Kampfzeit ist vorbei." Inzwischen pflege man eine Art Burgfrieden mit den anderen Instituten, der nur durch einige Rezensionen politischer Bücher immer wieder aufgebrochen werde. Als größten Konkurrenten betrachtet er - auch angesichts der jüngsten Spannungen innerhalb des Dresdener "Hannah-Arendt-Instituts" um die Interpretation deutscher Vergangenheit - das Institut für Zeitgeschichte in München. Gemeinsam müsse es aber allen Einrichtungen darum gehen, die Erinnerungen an die DDR wachzuhalten und sich in aktuelle Debatten einzumischen.

"Stasi-Protokolle veröffentlichen!"

In der Tat gibt es dazu gerade in jüngster Zeit Anlass genug. Die Diskussion um die Abhörprotokolle der Staatssicherheit und ihre Bewertung für politische Vorgänge in der Bundesrepublik geht auch an den Historikern nicht vorbei. Dabei sprechen sich die Potsdamer - wie auch viele ihrer Kollegen anderswo - für einen transparenten Umgang mit den Akten in der Gauck-Behörde aus. Kleßmann plädiert bei aller Vorsicht zur Veröffentlichung persönlicher Daten für eine Verwendung von MfS-Protokollen vor dem CDU-Untersuchungsausschuss: "Wenn Politiker Straftaten begangen haben und ihre Aussage verweigern, sollte man ihnen mit den Akten auf die Sprünge helfen."

Als letzte Zuckung einer auf immer weniger Beachtung stoßenden Aufarbeitung der DDR-Geschichte wollen die beiden Historiker die aktuelle Debatte nicht verstanden wissen. Die DDR-Forschung habe eine langfristige Perspektive - allerdings nur, wenn sie den Vergleich zu den anderen Transformationsstaaten in Ost- und Mitteleuropa zieht. Darüber hinaus plant das ZZF im Sommer eine Konferenz über die "Dritte Heimat Brandenburg", die sich mit der Geschichte der deutsch-polnischen Grenzregion beschäftigen soll. "Wir wollen vor Ort sein", sagt auch Hans-Hermann Hertle, der mit seinen Fernsehfilmen über die deutsche Einheit bekannt wurde und seit kurzem einen Schreibtisch in Potsdam hat.Das ZZF im Internet: www.zzf-pdm.de

In unserer Serie geisteswissenschaftliche Zentren sind bisher erschienen: Einstein-Forum und Moses-Mendelssohn-Zentrum (29. Februar 2000)

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