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Rauch steigt auf, während Feuerwehrleute und Rettungskräfte nach einem Zusammenstoß zweier Züge in der Nähe von Larisa im Einsatz sind.

© picture alliance/dpa/AP/Vaggelis Kousioras

„Züge wie vor 30 Jahren“: Das vermeidbare Unglück von Griechenland

Auf dem Weg nach Athen stößt ein Passagierzug mit einem Güterzug zusammen, dutzende Menschen sterben. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Das Unglück war vorhersehbar.

Von George Tsakiris

Ein Knall und wenige Sekunden waren es, die aus einem langen Feiertagswochenende eine Tragödie machten. Am Dienstagabend stieß ein Personenzug im Norden Griechenlands mit einem entgegenkommenden Güterzug zusammen. Die Passagiere, mehrheitlich Studenten, waren vermutlich auf dem Weg zu ihren Familien, um mit ihnen die griechisch-orthodoxe Fastenzeit zu verbringen, die gerade begonnen hatte. Mindestens 57 starben, 85 wurden verletzt.

Hätte das Zugunglück vermieden werden können? Die Antwort ist ein klares Ja. Viele Fakten weisen auf eine Katastrophe hin, die sich lange angebahnt hatte. Das griechische Eisenbahnsystem Hellenic Train (OSE) ist eines der öffentlichen Versorgungsunternehmen, die während der Schuldenkrise vor zehn Jahren privatisiert wurde. Heute betreibt die staatliche Eisenbahngesellschaft Italiens Züge und Gleise.

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Seit der Privatisierung fehlt es der Eisenbahn an Personal, Infrastruktur und automatisierten Signalen. Beamte des Verkehrssektors warnten schon in der Vergangenheit: Eine Katastrophe ist unter diesen Bedingungen vorprogrammiert. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, warum.

Letztes Jahr trat erst der Leiter der Netzinstandhaltung der Bahn zurück, der Grund: Sicherheitsmängel. Vor vier Monaten folgten ihm die für das Netz verantwortlichen Ingenieure. Vor 15 Tagen dann verklagte die Europäische Kommission die griechische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof. Sie hatte für die nächsten fünf Jahre keine Mittel für die Netzinstandhaltung vorgesehen.

Auf einer wichtigen Strecke hängen Sicherheit und Schutz im Jahr 2023 ausschließlich vom Menschen ab.

Vassilis Zavogiannis, Beschäftigtenvertreter der Hellenic Train

Und letzte Woche erst riefen die Eisenbahner einen Streik aus und forderten mehr Sicherheit auf dem Schienennetz. Das menschliche Versagen war deshalb nur das letzte Glied in einer Kette von Fehlern und Versäumnissen, die zu dem tragischen Zugunglück führten. Der 59-jährige Bahnhofsvorsteher im Ort Larisa, in dessen Nähe die Züge zusammenstießen, wurde inzwischen als Hauptverdächtiger verhaftet.

OSE-Lokführer Kostas Genidounias sagt dem staatlichen Fernsehsender ERT nach dem Unglück: „Elektronische Systeme? Nichts funktioniert. Es wird alles manuell gemacht, in Handarbeit.“ Das Gleiche gelte für Blinker, Lichtsignale und Verkehrsüberwachung. „Wenn sie funktionieren würden, würden die Fahrer das rote Licht sehen und die Züge würden in einem Abstand von 500 Metern zueinander stoppen.“

Auch Vassilis Zavogiannis, Beschäftigtenvertreter der Hellenic Train, spricht gegenüber dem Tagesspiegel von einem „entschärften“ System. Und von einem grundlegenden Problem auf der über 300 Kilometer langen Strecke zwischen Athen und Thessaloniki. „Auf einer Strecke, die für das Land von entscheidender Bedeutung ist, hängen Sicherheit und Schutz im Jahr 2023 ausschließlich vom Menschen ab“, sagt er. „Unsere Züge fahren wie vor 30 Jahren.“

Die ferngesteuerten Betriebs- und Signalsysteme, die die Züge vor Unfällen schützen, funktionierten nicht. Dabei sei die Technologie für ein ferngesteuertes System vorhanden, aber noch nicht in Betrieb – obwohl Gewerkschaften das seit 2018 fordern.

Mindestens 57 Tote: Bei einem Zugunfall sprangen mehrere Waggons vom Gleis, drei fingen gar Feuer.
Mindestens 57 Tote: Bei einem Zugunfall sprangen mehrere Waggons vom Gleis, drei fingen gar Feuer.

© picture alliance / ANE / Eurokinissi/Leonidas Tzekas / Eurokinissi

All diese Enthüllungen ließen die Trauer in Wut umschlagen. Am Mittwoch kam es vor der Zentrale von Hellenic Train zu Zusammenstößen zwischen der Bereitschaftspolizei und Demonstranten. Die Demonstration wurde von Studentengruppen und Kollektiven organisiert. Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, um die Menge zurückzudrängen, während sich die Demonstration weiter in Richtung Parlament bewegte. Auch in Larisa, in der Nähe der Unglücksstelle, und in Thessaloniki fanden Demonstrationen statt.

Noch nicht klar ist, ob und wie sich der Unfall auf die Parlamentswahlen auswirken wird. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass der Unfall Auswirkungen auf das Land haben wird, das bei seinen Zügen die schlechteste Sicherheitsbilanz in ganz Europa aufweist.

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