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Volksbühne

© Andreas Domma

Theater, Clubs und Unis auf Prangerliste: Wer den Hamas-Terror verurteilt, wird rot markiert

Eine Liste im Netz brandmarkt Kultureinrichtungen, die zu israelfreundlich seien. Dafür sollen sie „zur Rechenschaft gezogen“ werden. Ein Initiator des Projekts lebt in Berlin.

Alle Einrichtungen, die auf dieser Liste rot markiert sind, sollen „schändliche Taten“ begangen haben – so behaupten es jedenfalls die Macher des Prangers. Der konkrete Vorwurf: Die genannten Theater, Universitäten und Clubs sollen sich israelfreundlich verhalten haben. Sie seien also „prozionistisch“.

Dafür, heißt es, müssten sie „zur Rechenschaft gezogen“ werden. Was genau dies bedeutet – ob es als Aufruf zum Boykott oder gar zu Gewalt zu verstehen ist – wird nicht weiter ausgeführt.

Die Liste ist erreichbar über einen Link, der derzeit unter Aktivisten und Kulturschaffenden geteilt und auf Instagram verbreitet wird. Es handelt sich um ein Google-Dokument mit aktuell 994 Kultur- und Bildungsinstitutionen weltweit. Auch diverse deutsche Einrichtungen werden dort an den Pranger gestellt: aus Berlin etwa die Volksbühne, das Gorki-Theater sowie der Club about blank. Die Universität der Künste, die Akademie der Künste und das Humboldt-Forum werden dort ebenfalls als „prozionistisch“ gebrandmarkt.

Um auf diese weltweite Prangerliste zu geraten, reicht es aus, öffentlich um die Opfer des Hamas-Terrors getrauert zu haben.

Der Berliner Polizei ist die Liste bekannt. Auf Anfrage des Tagesspiegels heißt es, der Datensatz sei vom Staatsschutz des Landeskriminalamts analysiert und bewertet worden. Welche Maßnahmen getroffen wurden, könne aus taktischen Gründen jedoch nicht kommuniziert werden.

Um dem Pranger keine zusätzliche Reichweite zu verleihen, hat sich der Tagesspiegel dazu entschieden, den Namen der Liste und auch den zugehörigen Link nicht zu veröffentlichen.

Der Mitinitiator zog vor drei Jahren nach Berlin

Dass so viele Berliner Institutionen auf die Prangerliste geraten sind, dürfte kein Zufall sein. Einer der Initiatoren des Projekts lebt seit drei Jahren in der Stadt. Es handelt sich um den ägyptischen Künstler Omar Adel. Er selbst beschreibt sich als Kreativdirektor, Grafikdesigner, Webdesigner, Medienmanager, Forscher und Wissensbegeisterter.

Die Anfrage des Tagesspiegels, weshalb er sich zur Erstellung dieses Datensatzes entschlossen hat und was mit der Drohung „Zur Rechenschaft ziehen“ gemeint ist, beantwortet Omar Adel nicht. Stattdessen hat er seine Werbung für die Liste von seinem persönlichen Instagram-Profil entfernt.

Dieser Ausschnitt aus dem Datensatz zeigt die Bewertung des Berliner Clubs „about blank“.

© Screenshot:privat

Die Prangerliste ähnelt dem Konzept sogenannter Feindeslisten, die sonst eher aus rechtsextremen und rechtsterroristischen Kontexten bekannt sind. Die Auflistung und Markierung der Orte macht sie zu potenziellen Angriffszielen, auch wenn ein expliziter Gewaltaufruf fehlt.

Einigen der auf der Liste markierten Einrichtungen ist der Datensatz bereits bekannt, anderen bislang nicht. Mehrere Institutionen haben sich nun an die Polizei gewandt.

Die Akademie der Künste schreibt auf Anfrage des Tagesspiegels, sie kenne und berücksichtige diese Liste nicht und betrachte sie als unseriös. Das Humboldt-Forum möchte den Datensatz nicht kommentieren und verweist stattdessen auf seine Stellungnahme vom 13. Oktober, in der es heißt: „Wir sind zutiefst entsetzt über die grausamen Terroranschläge der Hamas. Wir sind solidarisch mit den Menschen in Israel und jüdischen Menschen in Deutschland und weltweit.“

Diese Liste ist in unseren Augen gruselig, demagogisch und denunziatorisch...

Club „about blank“

Die Universität der Künste schreibt, ihre Hochschulleitung habe sich klar positioniert: „Wir lehnen jegliche Form von Gewalt und Aufrufen dazu ab. Antisemitismus und jegliche Form der Diskriminierung hat keinen Platz in der UdK Berlin.“ Frieden, Demokratie und die Freiheit in Kunst und Wissenschaft seien Grundsätze der Universität.

Die verstärkte Polarisierung im Diskurs zum Nahostkonflikt in der Gesellschaft besorge sie sehr. Der zirkulierende Datensatz sei durchaus problematisch: „Der Konflikt ist komplex und denkbar ungeeignet für eine Schwarz- und Weiß-Perspektive. Welchen Zweck und welches Ziel verfolgt diese Liste? Und wer sind die Autor*innen? Wer bewertet und nach welchen Kriterien finden diese Bewertungen statt? Diese Fragen sollten wir in diesem Kontext nicht unbeachtet lassen.“

Die Universität der Künste fragt sich: „Welchen Zweck und welches Ziel verfolgt diese Liste? Und wer sind die Autor*innen?“

© imago/F. Berger

Gestartet wurde die Datensammlung bereits im Mai 2021, seitdem ist die Liste stetig angewachsen. Nach den Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober riefen die Initiatoren noch einmal dazu auf, den Online-Pranger weiter auszubauen.

Initiatoren stehen der BDS-Bewegung nahe

Dank Recherchen des Portals Belltower News ist belegt, dass Omar Adel zunächst als „Eigentümer“ des betreffenden Online-Dokuments eingetragen war, seine geschäftliche Mailadresse war eine Zeit lang hinterlegt und offen einsehbar. Ob und wie viele andere Aktivisten außer Omar Adel hinter dem Projekt stecken, ist unbekannt. In der Selbstdarstellung des Projekts heißt es, der Datensatz gehe auf ein „weltweites Kollektiv“ zurück.

Sicher ist, dass zeitweise auch eine in London lebende Architektin sowie ein niederländischer Künstler aus Amsterdam Schreibrechte für das Dokument besaßen. Beide stehen der BDS-Bewegung nahe und beteiligen sich in ihren Städten an anti-israelischen Demonstrationen. Darüber hinaus hat jeder, der den Link zur Prangerliste kennt, selbst die Möglichkeit, dort über eine Eingabemaske eine Kultureinrichtung seiner Wahl zu benennen und diese auf ihr Verhältnis zur „palästinensischer Befreiungsbewegung“ hin zu bewerten. Sind die Macher der Seite mit der Kategorisierung einverstanden, fügen sie die Einreichung in den Datensatz ein.

Objektive und nachvollziehbare Kriterien zur Bewertung finden sich dabei keine. So werden auf der Liste reihenweise Einrichtungen als „prozionistisch“ eingestuft, die in den vergangenen Wochen ausgewogene und differenzierte Stellungnahmen zum Hamas-Terror und seinen Folgen für die Region veröffentlichten – und neben den israelischen Opfern auch an die Zivilisten in Gaza dachten.

Der Berliner Club „about blank“ verurteilt den Datensatz auf Anfrage des Tagesspiegels deutlich: „Diese Liste ist in unseren Augen gruselig, demagogisch und denunziatorisch und kennzeichnend für das binäre, unterkomplexe und stigmatisierende Weltbild der BDS-Bewegung und ihrer Anhänger*innen.“ Der Club werde sich weder jetzt noch in Zukunft „davon abhalten lassen, Antisemitismus in jedweder Form zu thematisieren und kritisieren“.

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