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Opfer der Realitätsverdrängung. Francesco Totti (Pietro Castellitto).

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Biopic über Francesco Totti: Grotesker König von Rom

Das Sky-Biopic „Il Capitano“ über Francesco Totti kreiert eine Seriengattung ohne Götzenanbetung.

Vergötterung ist seit Urzeiten fest in unserer Natur verankert. Schon das Altertum war voller Heroen – meist kriegerische, aber auch politische, kulturelle, gar sportliche. Im postheroischen Zeitalter werden übermenschliche Individuen zwar dezenter verherrlicht, aber ein Heldentypus schafft es spielend ins Pantheon der Gegenwart: Fußballer. Viele werden schon angebetet, wenn sie ihrem Verein treu bleiben. Vom Herrn höchstpersönlich gesegnet sind indes nur jene mit der Hand Gottes oder Zeichen der Apotheose.

Einem Lichtstrahl zum Beispiel, der vom Himmel herniedergeht und Johannes Paul II. in den Schatten stellt. Es ist der Schlüsselmoment einer Sky-Serie, die für Furore sorgen dürfte: Francesco Totti als Bub auf dem Petersplatz, daneben der Papst, Jubelchöre – da reißt die Wolkendecke auf und die Sonne taucht den kleinen Römer in heiligen Glanz.

Wer es nicht längst wusste, wird zu Beginn von „Il Capitano“ ebenfalls erleuchtet, wenn da ein Schulkind Mitte der Achtzigerjahre gut sichtbar zur Stürmerlegende der ewigen Stadt wachsen darf. Totti, 778 Pflichtspiele für einen Verein. Totti, 307 Tore in 25 Jahren. Totti, Hauptfigur opulenter Titelgeschichten aller Ressorts. Totti, von Fans gefeiert, von Verteidigern gefürchtet. Totti, Stoff für ein Fernsehepos der unkritischen Art also? Nicht bei Regisseur Luca Ribuoli und seinem Head-Autor Stefano Bises!

Die nämlich zeichnen Totti als schlichtes Gemüt ohne Charisma, Kultur und Bildung. Über 20 Jahre hinweg verkörpert Pietro Castellitto den Strafraumdominator als unreifes Muttersöhnchen, das sich mit Ende 30 noch immer nicht damit abfinden kann, fußballerisch überflüssig zu werden. Statt Heroisierung also Verzwergung einer Ikone? Auch das ist nur die halbe Wahrheit, weil der Porträtierte die Vorlage geschrieben hat.

Die funkensprühende (Anti-)Heldenverehrung ist gefüllt mit grotesker Finesse ohne Furcht vor großen Tieren. Statt Legenden zu huldigen, wie Til Schweiger im Amazon-Starschnitt „Schw31ns7eiger“, kriegt der „achte König von Rom“, wie ihn Verehrer nennen, sein Fett weg. Dadurch wird der fiktionale Totti menschlicher als sein öffentliches Bild. Fast 40 und verletzungsanfällig, will Totti seine Laufbahn 2016 mit zwei, drei Jahren im Rampenlicht ausklingen lassen.

Seine hochschwangere, alleinerziehungsmüde Frau

Dummerweise setzt ihn der neue Trainer Spalletti (Gianmarco Tognazzi) auf die Bank. Für den ebenso unsicheren wie gefallsüchtigen Star eine Majestätsbeleidigung, die er aufgestachelt von Mama (furios: Monica Guerritore) mal mit konfrontativen Interviews, mal mit infantilem Desinteresse beantwortet.

Nebenbei behandelt „Il Capitano“ nicht nur Leistungsdruck und Götzenverehrung im Profifußball, sondern Geschlechterrollen der Restgesellschaft. Das Opfer der eigenen Realitätsverdrängung zieht seine hochschwangere, alleinerziehungsmüde Frau Ilary (Greta Scarano) mit hinab ins Fegefeuer der Eitelkeiten. Von Tragikomik ist der Moment, als die populäre (zur Hausfrau degradierte) TV-Moderatorin ihrem Mann dabei lauscht, wie er einen Abschiedsbrief vorliest, den sie für seinen hält.

Zuzüglich fiktionaler Freiheiten geht „Il Capitano“ so über das sehenswerte Sky-Porträt „Mi chiamo Francesco Totti“ hinaus, in dem sich der Porträtierte 2020 noch höchstpersönlich verabschieden durfte. Abzüglich dilettantischer Fußballszenen, die wegen Pietro Castellittos Unsportlichkeit bisweilen an Tommi Ohrners „Manni, der Libero“ erinnern, bildet der Sechsteiler trotzdem die Keimzelle einer neuen Gattung: autobiografische Biopics ohne Heroisierung.

Weil dieses hier nach vier Stunden auf Sky mit einer faustdicken Überraschung endet, liegt die Messlatte fürs nächste Serienwerk ziemlich hoch: „Maradona“, dann Ende Oktober bei Amazon Prime Video.

Jan Freitag

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