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Sylvia Bronstein (Ruth Reinecke) und Klaus Bronstein (Rainer Bock).

© HR/Bettina Müller

TV-Drama im Pflegeheim: Groll und Wut, die man über Jahre mit sich herumträgt

Ein bewegendes Drama über Menschen, die unfreiwillig eine Nacht im Pflegeheim verbringen.

Da ist der ältere Herr, Martin Glenski (Gerd Wameling), der eine Werkstatt hatte, in der er Geigen und Gitarren baute. Eine nicht fertig gebaute Gitarre liegt auf dem Arbeitsholztischchen in seinem Zimmer. Ringsherum Handwerkszeuge.

Er hat sie länger nicht benutzt. Herr Glenski ist dement, er wohnt in einem Altersheim im Umkreis von Frankfurt. Herrn Glenskis Tochter Alisa (Bernadette Heerwagen) möchte ihren Vater dazu bringen, ihr eine Vollmacht der Bank zu unterschreiben, damit sie einen Überblick über seine Finanzen bekommen kann, zahlt sie doch zusammen mit ihrer Frau Sarah (Katharina Nesytowa) das Heimzimmer aus eigener Tasche, was die beiden Frauen allmählich an ihre Belastungsgrenze führt. („Die Luft, die wir atmen“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15)

Es ist eine Art „Short-Cuts“-Reigen, den Autorin Julia C. Kaiser und Regisseur Martin Enlen mit dem Filmdrama „Die Luft, die wir atmen“ entworfen haben. Im zeitlichen Rahmen eines Tages und einer Nacht wird ein großes Personen-Ensemble in biografischen Miniaturen behutsam eingeführt.

Mit der Zeit tut sich so ein ganzes Panoptikum unterschiedlichster Lebensläufe auf, die alle mit dem im hessischen Taunus gelegenen Altersheim zu tun haben.

Da ist zum Beispiel der Florist Klaus (Rainer Bock), der seine Frau Sylvia (Ruth Reinecke) dazu bringen möchte, das Heim wieder zu verlassen und zurück nach Hause zu kommen. Sylvia ist an Parkinson erkrankt, möchte nicht, dass ihr Mann sie pflegen muss.

Dass sich die Erzählung nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht zuträgt, liegt an dem Umstand, dass plötzlich das Wetter umschlägt und in der Region überall Blitzeis einsetzt. Niemand kommt mehr zum Heim, kein Besucher kommt von dort wieder weg.

Es ist eine unerwartete neue Situation, in der sich alle miteinander befinden. Ein Kammerspiel an einem Ort, einem Altersheim. Heimleiterin Sina (Neda Rahmanian) muss überall beschwichtigen, erklären, muss für all die Gäste Betten und Essen stellen.

Es wird von schweren, scheinbar unlösbaren Familienkonflikten erzählt

Manchmal folgt ihr die Kamera von Philipp Timme durch das halbe Heim mit all seinen Gängen und Räumen, etwa wie sie ihre Kollegin, Schwester Martina (Katja Studt), sucht, als es gilt, eine soeben verstorbene Heimbewohnerin mit ihrem Bett an einen anderen Ort zu manövrieren, kann doch das Bestattungsinstitut angesichts des Blitzeises nicht kommen.

„Die Luft, die wir atmen“ erzählt auf sehr einfühlsame, gänzlich unspektakuläre Art von den Anfängen und vom Ende, vom schmerzlichen Prozess des Loslassens und des Abschiednehmens, erzählt von gesellschaftlichen Randthemen, die immer noch haarscharf an der Grenze der Tabuisierung entlanggleiten.

Es wird von schweren, scheinbar unlösbaren Familienkonflikten erzählt, vom Schatten der Eltern, der die Kinder ein Leben lang verfolgt, von Groll und Wut, die man über Jahre mit sich herumträgt, weil man von der Mutter oder dem Vater verletzt, nicht gesehen, nicht anerkannt oder nicht wertgeschätzt wurde.

So schwer und so bewegend einige der Episoden sind, etwa jene, in der Thomas Loibl den zutiefst verletzten Sohn spielt, der trotz zahlreicher Demütigungen durch die im Sterben liegende Mutter an ihr hängt und eben nicht die innere Kraft besitzt wie seine Schwester Lana (Barbara Philipp), die sich im Heimzimmer auf dem Absatz einfach umdreht und wieder geht, so leicht sind stellenweise die tragikomischen Zwischentöne, die schmunzeln oder zumindest kurz durchatmen lassen.

„Die Luft, die wir atmen“ ist ein kleines kostbares Fernsehfilm-Juwel, schwer zu finden, sehr selten und daher umso wertvoller.

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