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Duell.  U-Boot-Kommandant Newsome (Paterson Joseph) steht den Ermittlungen von Kommissarin Amy Sylva (Suranne Jones) skeptisch gegenüber.

© World Productions

Arte-Krimiserie "Vigil": Deep State im U-Boot

Die BBC-Serie „Vigil“ bündelt mehrere Skandale der Royal Navy zu einer herausragenden Realfiktion.

„Deep State“ ist ein Kampfbegriff aus dem Spracharsenal von Donald Trumps Terrormilizen, um die angeblich linke Unterwanderung staatlicher Strukturen zu behaupten. Wer dieses Märchen nicht miterzählen möchte, sollte ihn sich also besser verkneifen. Dummerweise aber gibt es diesen Deep State tatsächlich. In Diktaturen genauso wie in Demokratien. Er nennt sich nur anders. In Großbritannien zum Beispiel die Royal Navy.

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Wie in jeder Waffengattung herrscht auch hier ein hierarchisches System eigener Sitten und Gebräuche mit eigener Rechtsprechung, gar eigenem Sauerstoffpegel, der an Bord eines britischen U-Boots bewusst niedrig gehalten wird, um Feuern im Brandfall die Nahrung zu nehmen. Als sich beim Tauchgang ein seltsamer Todesfall ereignet, kriegt es bei so viel militärischer Autonomie also selbst die Exekutive der gewählten Regierung mit dem tiefen Staat des Militärs zu tun.

["Vigil", Arte, Donnerstag, 21 Uhr 50]

Nach penibler Sicherheitskontrolle an Land wird Detective Amy Sylva (Suranne Jones) zu Beginn der BBC-Serie „Vigil“ folglich nicht nur per Hubschrauber an Deck des titel-gebenden Tauchschiffes geflogen, um darunter drei Tage zwischen Nuklearsprengköpfen und Männerbünden zu ermitteln; der prinzipientreue Kommandant Newsome (Paterson Joseph) zeigt ihr zur Begrüßung auch gleich mal, wer unter Wasser das Sagen hat: „Tun Sie Ihre Arbeit, gehen Sie mir aus dem Weg, und sollte ich das Wort Mord außerhalb dieses Raumes hören, lasse ich Sie in die Kabine einsperren.“

So klingt es sechs Teile lang, wenn Arte ab heute an zwei Donnerstagen drei Skandale der jüngeren Marine-Vergangenheit zu einer verblüffenden Miniserie verdichtet: Die tödliche Havarie eines Fischtrawlers, dessen Netz sich 1990 im realen Schwesterboot der fiktiven Vigil verfing. Der Drogenkonsum diverser Matrosen 27 Jahre später. Zuletzt das ungeklärte Ableben eines Unterseemannes. Und zwischendrin natürlich Berichte von Corpsgeist und Störfälle an Bord einer Flotte, deren Antrieb und Bewaffnung im postheroischen Zeitalter zunehmend auf Ablehnung stößt.

300 Minuten Realfiktion

In dieser verschwörungstheorieanfälligen Nährstofflösung hat der dramenerprobte Autor Tom Edge („The Crown“) für den krimierfahrenen Regisseur James Strong („Broadchurch“) nun also 300 Minuten Realfiktion verfasst, von denen jede für sich fesselnd ist. Denn wenige Stunden, nachdem er die Besatzung der atomgetriebenen Vigil vergeblich dazu aufgefordert hatte, einem Fischerboot in Seenot zu helfen, liegt Officer Craig Burke tot in der Kajüte. Die herbeigerufene Kommissarin entdeckt zwar Heroin unter, aber nicht in seiner Nase, was die Ursache Überdosis ausschließt.

Während ihre Ermittlungen weitere Indizien von Fremdeinwirkung unter der feindseligen Besatzung – allen voran Officer Prentice (Adam James) – entdeckt, stößt Amys Kollegin Kirsten (Rose Leslie) auch bei der Spurensuche an Land auf Ungereimtheiten, die mehr als Drogenmissbrauch nahelegen. Schon diese Konstellation ist dank der beiden Hauptdarstellerinnen im Glasgower Dialekt hochinteressant. Aus Gründen von Geheimhaltung bis Prinzip darf die Kommissarin nämlich kaum mit ihrer (offenbar auch erotisch verbundenen) Partnerin kommunizieren, was beide in Lebensgefahr bringt und die Aufklärung ins Stocken.

Dusseliger deutscher Untertitel

Zum Glück geht „Vigil“ weit über den dusseligen Untertitel „Tod auf hoher See“ hinaus. Mit einer brillanten Erzählung vom Staat im Staate, dem demokratische Regeln weniger bedeuten als militärische, hat sich das erfolgreichste BBC-Format seit der Terror-Serie „Bodyguard“ von 2018 seine achtstellige Zuschauerzahl absolut verdient.

Jan Freitag

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