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Kolumnistin Aline von Drateln

© privat

Babylon Aline: Mutiert Schriftsteller Michel Houellebecq zum Internet-Troll?

Houellebecq faselte jüngst von „angestammten Franzosen“, die wünschten, Muslime sollten „aufhören, sie zu bestehlen“, und am besten „gleich fortgehen“. Auf Juristenfranzösisch heißt das „Anstachelung zum Hass“.

Von Aline von Drateln

Der französische Autor Michel Houellebecq hat in seinem Leben viel erreicht. Zum Beispiel, dass viele Menschen wissen, wie man seinen Namen ausspricht, und einige sogar, wie man ihn schreibt. Und dann sind da natürlich seine Romane. Im Zentrum stets hedonistische Antihelden mit Blick auf den Eiffelturm. Literarische Selfies unserer Gesellschaft - ohne Filter.

Spätestens seit 1998 „Elementarteilchen“ erschien, galt Houellebecq als ein Intellektueller wie aus dem Buche: sehr gebildet, sehr schlecht gelaunt, sehr dem Alkohol und Zigaretten zugewandt. Dazu sieht er aus, als wäre er bereits seit den 70er Jahren im Lockdown. Oder wie ein durchschnittlicher Berliner während einer Corona-Infektion: käsig, knittrig, ungekämmt. Dekoriert mit etlichen Literaturpreisen und dem Ritterkreuz der Ehrenlegion.

Dieser Tage steht tout Paris kopf wegen seines Interviews mit der Zeitschrift „Le Front Populaire“. Darin soll sich er ungeniert diskriminierend geäußert haben, Muslime mit Kriminellen über einen Kamm geschert und sich insgesamt wenig ritterlich wie ein stinknormaler Internet-Troll aufgeführt haben. Er faselt von „angestammten Franzosen“, die wünschten, Muslime sollten „aufhören, sie zu bestehlen“, und am besten „gleich fortgehen“. Auf Juristenfranzösisch heißt das „Anstachelung zum Hass“.

Anzeige durch Betroffene ist raus. Am Sonntag wird der Mitschnitt seiner Äußerungen veröffentlicht. Viele sind nicht verwundert. Endlich hätte sich Europas Vorzeige-Intellektueller selbst als random Rassist entlarvt. Bereits das Werk „Unterwerfung“, sein dystopischer Roman, in dem ein fiktives Frankreich in naher Zukunft von Islamisten geführt wird, hätte extremen Rechten in die Hände gespielt. Andere hatten das bitterböse Buch als reine Abrechnung mit einer bequemen weißen Elite gelesen.
Dummheit ist immer ärgerlich. In diesem Fall doppelt.

Mit einem verurteilten islamophoben Hassprediger namens Michel Houellebecq hätten wir mehr zu verlieren als nur einen scharfzüngigen Stinkstiefel, der so schön elegant böse schreiben kann. Wir brauchen einen brutalen Beobachter mit dem schnörkellosen Blick eines Houellebecq, der uns im Alter aber nicht im Stich lässt. In seinem Alter, wohlgemerkt. Sonst bliebe uns nur noch Richard David Precht. Der ist zwar kein Rassist. Aber auch der ist zu sehr wie viele: ein durchschnittlicher Denker, der im Alter plötzlich anfängt, verbal herumzuböllern.

Was ist nur los mit vielen weisen, alten Männern? Werden sie von Gleichaltrigen radikalisiert? Wäre Houellebecq der gesellschaftspolitische Prophet, zu dem er oft gemacht wurde, müsste sein nächster Roman von einem französischem Intellektuellen handeln, der sich eines Morgens in einen durchschnittlich deutschen Opa verwandelt fand. Und im Houellebecq’schen Stil am Ende die misanthropische Frage stellt: Werden Männer heute vielleicht einfach zu alt?

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