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Pro & Contra: Stadtrundfahrt mit Pferdefuß

Abgase, Lärm und harter Asphalt. Schluss damit, dass Kutschen durch die Stadt rollen? Ein Pro & Contra

Marcel Rittsche, der auch an strengen Wintertagen wie heute Kutschfahrten vermittelt, nervt die Verbotsdiskussion. Sie hat dem großen Interesse für Berliner Pferdekutschen – die Branche boomt seit gut drei Jahren – zumindest einen Dämpfer verpasst. In wenigen Wochen will sich die Senatsgesundheitsverwaltung mit den Veterinärämtern der Bezirke auf „Leitlinien“ für Kutschbetriebe geeinigt haben. Dabei geht es um die Einsatzzeiten, die ordnungsgemäße Versorgung der Tiere, die Ruhepausen, um Fahrtenbücher, um „Sachkunde“ der Fahrer. Es wird auch darum gehen, wie das alles zu kontrollieren ist.

Marcel Rittsche findet Leitlinien überfällig. „Es gibt zu viele schwarze Schafe in Berlin“, sagt er. Und wenn sich alle an Leitlinien orientierten, habe er auch nichts gegen weitere Mitbewerber im Kutschengewerbe. Aber es gebe viele andere, seriöse Betriebe, über die kaum gesprochen werde. Seine Firma „Berlin-Kutschfahrten“ zum Beispiel, ein Projekt der „Berlin-Vermittlung“, arbeite mit vier ausgewählten Kutschbetrieben zusammen, die sich nichts vorwerfen lassen wollten. Alle Fahrer seien geschult, die Tiere gepflegt und gut versorgt, die Passagiere könnten absolut sicher sein. Seine Kutscher haben die Fahrerlaubnis Klasse 4 für ein Kutschgefährt, den Personenbeförderungsschein wie Taxifahrer und Erste-Hilfe-Kurse absolviert. Die Fahrer achten darauf, dass zwei Pferde maximal sechs Personen mit Kutscher ziehen.

Die Tiere, meist kräftige „Friesen“, werden am Standort gefüttert, fünfmal am Tag, Eimer und Beutel sind immer dabei, um gleich die Pferdeäpfel aufzusammeln. Die Tiere sind höchstens fünf Stunden unterwegs, nicht weit in den Abend hinein, müssen keine weiten täglichen Wege zum Einsatzort absolvieren, haben wochentags ihre Ställe in Berlin. An Wochenenden werden sie zu heimatlichen Reiterhöfen, etwa in Neustrelitz, gefahren, um wochenweise gegen andere Tiere ausgetauscht zu werden. Die Kutscher gönnten den Pferden über den Jahreswechsel bis gestern ohnehin eine mehrtägige Pause, um sie von Knallkörpern nicht kirre machen zu lassen.

Aber es gibt eben unter den 15 Betrieben mit insgesamt über 100 Pferden auch einige, die nicht so sorgfältig arbeiten. Rittsche glaubt, dass es 60 Prozent der Betreiber sind. „Schlimm ist, wenn jemand fährt, der keine Ahnung hat.“

Weihnachten gingen zwei Pferde mit ihrer Kutsche durch, der Fahrer wurde dabei schwer verletzt. An der oft verstopften Straßenecke Unter den Linden/Friedrichstraße ragen immer wieder inmitten des festgefahrenen Bleches einsame Pferdeohren heraus, viele Betrachter wundern sich, dass sich ein Kutscher überhaupt in das Gewühl traut. Und sie wollen vor allem nicht in der Haut der Tiere mitten im Stau stecken.

Als die 17-jährige „Bess“ im letzten April vorm Hotel Adlon erschöpft zusammenbrach, rührte sie die Herzen und erboste die Tierschützer, und die kritische Diskussion kam in Gang. Die Tierschutzorganisation „Peta“ forderte erst kürzlich wieder ein Verbot der Pferdekutschen. Den Tieren werde jede natürliche Lebensweise abgesprochen, sie zögen schwere Gewichte und seien Abgasen ausgesetzt. Im Internet wird von Peta „eine Berlinerin“ zitiert: „Es schnürt mir jedes Mal das Herz zusammen, wenn ich diese armen Kreaturen noch bei Rot über die Ampel traben sehe oder wenn sie von Autofahrern angehupt werden.“

Pferdeexperte Ingo Bender wird mit dem Satz zitiert, dass der Betrieb gewerblicher Pferdekutschen in Großstädten „grundsätzlich im Verdacht steht, tierschutzwidrig zu sein. Ich befürworte deshalb aus Tierschutzgründen ein Verbot solcher Betriebe in Berlin“. In London, Paris, Toronto oder Peking seien Pferdekutschen auch verboten. In Berlin, sagt Marie-Luise Dittmar von der Gesundheitsbehörde, gehörten Pferdekutschen zum Stadtbild. Auch sei die Luft besser als in den anderen Metropolen.

Die Behörden achteten auf die Einhaltung des Tierschutzgesetzes, heißt es. Die Leitlinien seien nur erforderlich, „um mehr Klarheit zu haben“.

Christian van Lessen

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