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Stadtleben: Möbel vom Oberkellner

ORTSTERMIN: Ein letzter Rundgang im Einrichtungshaus „Neue Wohnkultur“

Ein Ehepaar hat sich in die roten „WK Relaxsessel“ sinken lassen. Vor ihnen steht Herr S., eine ergraute Koryphäe des Möbelhandels, der heute unendlich traurig und verbittert ist, aber sich viel Mühe gibt, so professionell zu wirken wie immer. „In jeder Phase des Sitzens haben sie eine optimale Ellenbogenunterstützung.“ Mit kurzen Anweisungen führt er den Ehemann durch die Möbelmechanik, zur Ehefrau bemerkt er: „Das Modell gibt es schon seit 55 Jahren, seit wir am Innsbrucker Platz begonnen haben. Wenn Sie das jetzt kaufen, dann ist das Geschichte.“

Das Möbelhaus „Neue Wohnkultur“ macht dicht. „Das ist ein klassisches Stück West-Berlin“, raunt Herr S. und deutet an, dass er es für einen Fehler hält, diese Tradition einfach abzuwickeln. Die Umsätze sind eingebrochen, der Standort südlich der Stadtautobahn liegt zu weit ab von den Charlottenburger Designzentren.

Die Menschen wandern mit Suchblick durch die Ausstellung, genauso wie bei Ikea. Sie tragen Kinder auf dem Arm, ziehen Schubladen auf, testen Freischwinger, befühlen Oberflächen, begutachten Preisschilder. Es wird gefeilscht und heruntergehandelt, dass es Herrn S. und seinen Kollegen schon ganz schwindlig ist. „Bisher waren wir die Oberkellner im Adlon, jetzt ist es mehr wie in einer Suppenküche.“ Die Kunden, darunter laut S. viele hochgestellte Politiker und Geschäftsleute, wurden oft über Jahre beraten, ganz in Ruhe und ohne ständig auf den Preis zu schielen, aber damit ist es jetzt vorbei.

Der kleine Laden-Parkplatz ist schon verstopft. Viele möchten ihre Fundstücke gleich mitnehmen. Ein Mann schleppt einen großen Spiegel durch das enge Treppenhaus. Ein junges Architekten-Paar hat sich Stühle gekauft – das Stück für 470 Euro – und verstaut sie in ihren Renault Espace, der in zweiter Reihe parkt.

Sie sei gekommen, um „Abschied zu nehmen“, sagt Dorothea Plähn, eine Rechtsanwältin, deren Eltern schon hier gekauft haben. Ihr Mann hat im Obergeschoss eine Ledergruppe von „Wittmann“ für rund 13 000 Euro entdeckt. Das sei doch etwas zu teuer. Dabei ist das schon der Alles-muss-raus-Preis.

Saskia Bolle, 33, Pharmareferentin, treibt im dichten Pulk durch die Korridore. Am Räumungstag herzukommen, sei ein bisschen wie Leichenfledderei, sagt sie. Der eigentliche Möbeljäger ist aber ihr Mann. Der hat auch schon einen Tisch entdeckt, aber befohlen, ihn noch nicht zu kaufen. „Der wird ja noch billiger.“ Gerne ist ihr Mann auch im Internet unterwegs. „Der ruft dann direkt bei den Herstellern an und verhandelt.“ Was sie auch schon gemacht haben: Modelle, die sie in Designläden gesehen haben, von einem Tischler günstig nachbauen lassen.

Eine Gruppe junger Männer in „Alpha Industries“-Jacken sucht schicke Möbel fürs neue Büro, aber die Preise seien im Internet viel günstiger und das Design hier doch ziemlich „überholt“. Ihr Tipp: www.designlager.de. Als sich das Ehepaar in den Relaxsesseln nicht entscheiden kann, sagt Herr S. es dann doch, das Unwort „Schnäppchenpreis“, ganz schnell hetzt es über seine Lippen. Ein Relaxstuhl mit Geschichte für unter 2000 Euro. Thomas Loy

Der Räumungsverkauf läuft bis Ende April. Wochentags ist das Möbelhaus am Innsbrucker Platz von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

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