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Rassismus-Debatte: Nur Verachtung für die Opfer

"Scheiß Deutsche" – eine solche Beschimpfung gilt inzwischen fast als harmlos. Gibt es Rassismus nicht nur gegen Minderheiten, sondern gegen die Mehrheit?

Sie werden als „Nazi-Oma“, als „Hängebauchschwein“, als „Kartoffel-“ oder „Schweinefresser“ beschimpft oder ganz einfach „Scheiß Deutsche“ genannt. Jugendliche mit Migrationshintergrund würzen ihre Attacken gegen deutsche Opfer immer öfter mit einer derben Beleidigung. „Rassistische Äußerungen bei Straftaten häufen sich“, sagt Jugendrichterin Kirsten Heisig. „Früher wurde ein Handy abgezogen, um das Handy zu kriegen, das man sich sonst nicht leisten konnte, heute wird auch noch zugetreten und ,Scheiß Christ‘ gerufen.“ Auch Polizeibeamte werden auf diese Art beschimpft, zuletzt geschehen in der Kreuzberger Ritterstraße. Dass der Beamte türkischstämmig war, wie ein Teil der Angreifer auch, interessierte die pöbelnde Horde nicht.

Weil in kurzer Zeit mehrere Fälle bekannt wurden, zusätzlich zum brutalen Überfall auf einen Rentner in der Münchener U-Bahn, gibt es jetzt eine Debatte, ob sich Rassismus auch gegen die Mehrheitsgesellschaft wenden kann. Wobei die Frage der Mehrheit in Kreuzberg-Ost oder Neukölln-Nord nicht eindeutig beantwortet werden kann. Der konservative Publizist Frank Schirrmacher von der FAZ sieht jedenfalls eine „seltsame Parallele zwischen Neonazis und kriminellen jungen Muslimen“.

„Das ist eine vollkommen verrückte Diskussion“, sagt Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening. Den Rassismus-Vorwurf gleichsam umzukehren sei „sehr gefährlich“ und verharmlose die Bedrohung durch rechtsradikale Umtriebe. „Da werden Szenemerkmale überhöht. Die Schweinefleischdiskussion ist doch ein Dauerthema.“ Verschiedene Jugendcliquen versuchten, sich voneinander abzugrenzen. Das funktioniere zwischen Arabern, Russen und Türken auf ähnliche Weise. Piening sieht hinter den Beleidigungen „Prozesse der Identitätsbildung“ und verweist auf die Texte von Rappern.

Die Täter selbst kann man in der Regel schlecht fragen. Richterin Heisig sieht sie in der Hauptverhandlung vor sich und spricht sie auf ihre Äußerungen an. „Dann wiegeln sie ab. Das hätten sie in der Situation nur so dahingesagt.“ Ihr fällt aber auf, dass sich die Öffentlichkeit für diese Täter nicht interessiert. „Da kommt keiner dieser Vereine, die sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren“, wundert sie sich. Bei Übergriffen rechter Jugendlicher auf Migranten sei der Saal dagegen immer voll.

Heisigs Kollege Günter Räcke sieht in rassistischen Beleidigungen nur einen „Nebenaspekt“. Die Täter äußerten ihre Verachtung für den Schwachen, das Opfer, um das eigene Prestige in der Gruppe zu mehren. Je nach Gruppenzugehörigkeit des auserwählten Opfers werde eben die geeignete verbale Erniedrigung gewählt. Einen deutschen Jugendlichen zur Zielscheibe zu machen – statt eines russischen oder arabischen – habe nach Erfahrung der Ermittler den Vorteil, dass die große Verwandtschaft nicht binnen Minuten zur Gegenattacke anrückt.

Eberhard Seidel vom Projekt „Schule ohne Rassismus“ sieht in Äußerungen wie „Nazi-Oma“ allenfalls eine „einfache Legitimation für Raubzüge“. Die Diskussion um einen antideutschen Rassismus hält er jedenfalls für „völligen Unsinn“. Es gehe bei dem verbalen Kräftemessen um Abgrenzungsversuche und Identitätsbildung, auf beiden Seiten. „Dabei haben die deutschen und türkischen Jugendlichen als Verlierer der Gesellschaft mehr Gemeinsamkeiten als ihnen bewusst ist“, sagte Seidel im Deutschlandradio Kultur.

Was sie unterscheidet, ist die Religion. Die wird für Migranten immer wichtiger. „Die arabische Community ist fest in der Hand der Islamisten“, erklärt der Berliner Islamexperte Ralph Ghadban. Säkulare Vereine hätten sich längst zurückgezogen. „Das ist eine Folge der Laisser-faire-Politik der 90er Jahre“, aber auch hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Schulbildung. Die Islamisten nutzten die „Opfersituation“ vieler arabischer Familien, die keinen festen Status hätten und sich in der Sozialhilfe eingerichtet hätten. „Deutschland wird von den Islamisten nur als Beutegesellschaft betrachtet.“

Mehmet Alpbek vom Berliner Integrationsbeirat spricht von einem „Abdriften in die Communities“, besonders seit der deutschen Wiedervereinigung, in deren Folge viele Arbeitsplätze für Migranten verschwanden. Ein Gefühl der Vernachlässigung und Ausgrenzung habe sich verfestigt – deshalb „positionierten“ sich die Jugendlichen stärker, auch mit Beleidigungen. Wenn über Abschiebungen als Reaktion auf Straftaten diskutiert werde, sei schließlich offensichtlich, dass türkische und deutsche Straftäter unterschiedlich behandelt würden. „Mitte der 80er Jahre waren die Berliner Türken viel integrationswilliger als heute.“

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