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Berlin: Neue Daten für den Literaten

Eigentlich müsste er es gut finden: Denn im Literaturhaus in der Fasanenstraße richtete er die erste offene Lesebühne Berlins ein. Das war 1972.

Eigentlich müsste er es gut finden: Denn im Literaturhaus in der Fasanenstraße richtete er die erste offene Lesebühne Berlins ein. Das war 1972. Ist schon lange her. Und die Lesebühne wurde knapp ein Jahr später wieder geschlossen.

Peter Martin Stephan ist im Mudd-Club. Der Literaturkritiker besucht zum ersten Mal eine der lustigen Lesebühnen in Mitte: Er will die "Surfpoeten" in seinen Berlin-Literaturführer im Internet aufnehmen. Er guckt sich im Publikum um: "Es sind wahrscheinlich viele Studenten hier", sagt er. Auf der Bühne sitzen acht junge Männer in alten Sesseln, rauchen und trinken Wein. Sie sind mit etwa zwanzig Jahren zehn Jahre jünger als Peter M. Stephans Tochter. Er stellt sich vor, sagt "guten Tag" und: "Ich komme aus der Literaturwissenschaft." Die alte Schule des Schreibens trifft die junge: "Ach, schon wieder so ein Interview." - "Nein, ich mache einen Berlin-Literaturführer fürs Internet." Einer der jungen Literaten schüttelt den Kopf. Die anderen lehnen sich zurück und warten auf Fragen.

"Habt Ihr etwas mit der amerikanischen Slam-Poetry der Achtziger zu tun?" Eher nicht. "Wie findet Ihr Jack Kerouac?" Auch das war lange vor ihrer Zeit. "Mit romantischer Dichtung habt ihr ja auch wenig zu tun, Luftikusse seid Ihr ja nicht." - "Doch, Luftikusse, das ist ein gutes Wort", sagt Surfpoet Ahne.

Die Lesung beginnt. Die Texte sind schnell, manchmal brutal und werden in gespielter Naivität vorgetragen. "Das sind junge Leute, die nicht mehr an Romantik und Händchenhalten glauben", sagt Stephan. Nach dem etwas unklaren Vortrag eines Surfpoeten: "Die jungen Leute geben sich keine Mühe mehr." Peter M. Stephan ist kritisch. "Man wertet immer", sagt der Mann, der über Max Frisch promoviert und Heinrich von Kleist herausgegeben hat. Er erinnert sich, der Literat Karl Dall habe vor Jahrzehnten - lange vor seiner Zeit beim Fernsehen - Gedichte vorgelesen und sie danach an der Kerzenflamme verbrannt. Das sei ja stilistisch ähnlich gewesen.

Einmal, als ein Text vorgelesen wird über "fiese Firmen, die sich an meinem Müll bereichern", muss der Kritiker das erste Mal lächeln. Das ist unangenehm: Lachen müssen, ohne es zu wollen. "Das ist Oberflächenliteratur", sagt er. Aber sie sei witzig. Schließlich singen die Surfpoeten mit ihrem Publikum "Der Mond ist aufgegangen". Beim "steigt der weiße Nebel wunderbar" setzt Stephan genüsslich die Bierflasche an den Mund.

"Auch ich könnte so etwas schreiben: Es ist nur gefährlich." So schnell zu schreiben, das mache die Sinne stumpf. Die Texte seien unfertig, manchmal stecke einfach zu viel in ihnen drin: Man müsse an einigen Stücken noch etwas arbeiten. "Doch stattdessen werfen sie sie wahrscheinlich weg."

Er überlegt, wie er die "Surfpoeten" im Internet-Literaturführer vorstellen wird. Etwa zehn Orte hat er schon kritisch besucht, wie Theodoras Literatursalon, von dem er schreibt, "das Publikum ist streitbar und wird immer streitbarer in fortschreitender Nacht." Das "Literarische Colloqium Berlin" steht neben dem "Kaffee Burger".

Eines wurmt ihn. Max Frisch habe doch mal gesagt, er wolle mit seiner Literatur eine Spur hinterlassen. Ja, und die Surfpoeten? Stephan legt die Sirn in Falten, und fragt sich laut: "Warum machen die das bloß?"

Christian Domnitz

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