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Berliner Bezirksämter: Kuhhandel um die Rathäuser

Der Streit um die Wahl der Bürgermeister und Stadträte reicht lange zurück. 1971 führten die großen Parteien eine Reform zu ihren Gunsten ein.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Pöstchenhuberei, bezirkliche Ränkespiele und offene Erpressung kamen zusammen, als 1971 das politische Bezirksamt abgeschafft wurde. Bis dahin war es für die Nachkriegsparteien SPD, CDU und FDP kein Problem, die Bürgermeister- und Stadtratsämter im Westen Berlins unter sich aufzuteilen. Die Grünen gab es noch nicht, der nationalkonservative „Bund Freies Deutschland“ und die „Sozialistische Einheitspartei Westberlin“ waren zu schwach auf der Brust, um die Fünfprozenthürde zu überspringen.

Allerdings wurden die Christdemokraten im Laufe der sechziger Jahre, als sich in Berlin unter Willy Brandt und Klaus Schütz eine sozialliberale Koalition etablierte, verdrießlich. Denn die SPD konnte vor Kraft kaum laufen und beherrschte die Bezirksverwaltungen großenteils mit absoluter Mehrheit. Charlottenburg und Zehlendorf, gelegentlich auch Wilmersdorf und Steglitz waren die Ausnahme von der Regel. Die Sozialdemokraten konnten fast nach Belieben die Rathäuser besetzen. Und seit 1963, als die Liberalen in den Senat einzogen, wurden zunehmend FDP-Leute bevorzugt.

Um wieder besser ins Geschäft zu kommen, fädelte die Union einen Kuhhandel ein. Die Deputationen, nicht mehr zeitgemäße Bezirksgremien mit unklaren Kompetenzen, angesiedelt zwischen Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung (BVV), sollten abgeschafft werden. Das war zwischen den Abgeordnetenhausparteien auch völlig unstrittig. Weil die Deputationen aber in der Berliner Verfassung verankert waren, bedurfte es einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, um sie abzuschaffen. Diese Zustimmung wollte sich die Union damals teuer abkaufen lassen: Die Bezirksämter sollten künftig nicht mehr durch politische Mehrheiten, sondern entsprechend der Stärke der BVV-Fraktionen besetzt werden.

Bis dahin war die politische Wahl der Bezirksbürgermeister und Stadträte in Berlin nie in Zweifel gestellt worden. Schon im Berlin-Gesetz von 1920 stand: „Die Bezirksämter bestehen aus sieben Mitgliedern, die durch die Bezirksversammlung gewählt werden.“ Ohne Proporz. Nach dem Krieg wurde diese Regelung 1950 in die neue Verfassung übernommen und 1958 auch im neuen Bezirksverwaltungsgesetz für die zwölf Westbezirke festgeschrieben.

Ein gutes Jahrzehnt später stand das politische Bezirksamt doch zur Disposition – aber die Sozialdemokraten wollten den Vorstoß der CDU mit einem bauernschlauen Trick aushebeln. Sie schlugen vor, die proporzmäßige Verteilung der Bezirksamtsposten nur als Soll-Vorschrift zu formulieren, ergänzt durch den Satz: „Ohne dass eine rechtliche Verpflichtung vorliegt“. Damit wäre es ins Belieben der SPD-dominierten Bezirksverordnetenversammlungen gestellt worden, politisch zu wählen oder die Posten nach Proporzprinzip zu verteilen. Je nachdem, was besser passte.

Ein „juristischer Nonsens“, schimpfte der CDU-Rechtsexperte Alfons Waltzog im Januar 1971 in einer aufgeheizten Parlamentsdebatte. Das war dem Vize-Fraktionschef der SPD, Wolfgang Haus, egal. Der flexible Vorschlag seiner Partei könne verhindern, „eine radikale Partei, wenn sie in die Zwölf-Prozent-Größe kommen sollte, zwangsweise in die Bezirksämter hineinnehmen zu müssen“. Außerdem – und auch das formulierte Haus deutlich – helfe der SPD-Vorschlag dem Koalitionspartner FDP, in den Bezirken noch Stadträteposten zu bekommen.

Der FDP-Fraktionschef Hermann Oxfort setzte nach: „Die gesetzliche Bestimmung des Proporzes bei der Zusammensetzung des Bezirksamts ist eine völlig unmögliche und unerträgliche Maßnahme.“ An die Stelle des politischen Entscheidens wolle die Union den Rechenstab setzen. So etwas sei der Demokratie nie bekommen. Aber die CDU gab nicht nach, ließ das Reformpaket zunächst kaltblütig scheitern, wenig später fand sich für die völlige Abkehr vom politischen Bezirksamt tatsächlich eine Mehrheit. Die Proporzregelung trat im Juni 1971 in Kraft. Mit dem Ergebnis, dass bei den BVV-Wahlen 1975 die FDP ihre letzten fünf Stadtratsposten verlor. Alle Ämter gingen an SPD und CDU. Erst 1981 zog die Alternative Liste (AL) in Kreuzberg und Schöneberg in die Bezirksämter ein, und seit 1992 mischt auch die PDS mit.

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