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Berlin: Helma Janßen (Geb. 1948)

"Da der Teig in der Breite aufgeht, entsteht die typische Herzform."

Helma war gar nicht mal in Eile, als sie auf den Stufen zu ihrer Stammbäckerei ins Straucheln geriet und mit großem Schwung in den Laden hineinfiel. „Meine Güte, da kommt das Mädchen mit den Schweineohren angeflogen, und die sind auch noch alle!“ Den Ausruf des jungen Bäckermeisters nahm Helma nicht krumm, an ihren eigenen Ohren war nichts auszusetzen, da war sie sich sicher, aber knusprige Schweineohren aus Blätterteig waren ihre große Leidenschaft. Helma stand auf und entschied: „Dann muss ich die heute eben selber backen.“

„Da der Teig beim Backen nicht in der Höhe, sondern in der Breite aufgeht, entsteht die typische Herzform.“ So steht es im Rezept. Das Gebäck und ihr bühnenreifer Auftritt sollten Helmas Leben für die nächsten 38 Jahre verändern. Der Bäckermeister Janßen führte sie in seine Backstube.

Eigentlich wollte Helma zum Theater. Mit 16 Jahren begann sie eine Ausbildung zur Theaterschneiderin und Kostümbildnerin. Sie zeichnete und nähte eigene Kreationen und gewann Preise für ihre Entwürfe. Noch während der Lehrzeit schickte ihr das Theater des Westens einen Anstellungsvertrag zu.

Helma entschied sich anders. Sie begann am Flughafen Tempelhof. Sie war inzwischen verheiratet mit Meister Janßen; gemeinsam mit ihm übernahm sie die Bäckerei mit Café am Flughafen. Dass Franz ein großartiger Bäcker, aber ein nicht ganz so guter Geschäftsmann war, brachte Helma nicht aus der Ruhe. Tagsüber kümmerte sie sich um die Kunden, mit Humor und Menschenkenntnis rang sie auch den hektischsten Fluggästen ein kleines Lächeln ab. Abends kümmerte sie sich um die Buchhaltung, und nach wenig Schlaf stand sie wieder in der Backstube und zeigte den Gesellen, wie man Schweineohren backt. Das konnte keiner besser als sie. Mitte der siebziger Jahre, nach Eröffnung des neuen Flughafens in Tegel, wurde es ruhig in Tempelhof, und die Janßens zogen um in ein neues Geschäft in der Neuköllnischen Heide.

„Samstags waren nur Männer in der Bäckerei“, erzählt Franz Janßen, „die gingen freiwillig Brötchen fürs Wochenende holen, weil sie wussten, die schöne Bäckerin stand hinterm Tresen.“

Und in der Freizeit? Da begleitete Helma ihren Mann oft in die Boxhalle. Er betreute den Nachwuchs bei den Neuköllner Sportfreunden. Während er sich um die Schlagtechnik kümmerte, gab sie den türkischen Jungs Nachhilfe für die Schule. „Fast alle Neuköllner Boxer, auch die, die später berühmt wurden, haben sich bei Helma ausgeheult, wenn sie Liebeskummer hatten“, erzählt Franz. Und wenn die Schwestern der harten Jungs zu Hause Probleme hatten, einen heiraten sollten, den sie nicht liebten, nahmen die Janßens die Mädchen für eine Weile bei sich auf. Helma tröstete, Franz besuchte die Väter auf ein Wort von Mann zu Mann.

Streit gab es mit Helma Janßen eigentlich nicht, es fiel leicht, sie zu mögen. Ihre Ruhe verlor sie allenfalls, wenn Franz einen über den Durst trank oder den wöchentlichen Blumenstrauß vergaß. Das passierte selten, und wenn, dann scheuchte sie ihn bei Wind und Wetter auf die Straße.

Als bei Helma ein Nierenleiden ausbrach, änderte sich der Alltag der beiden sehr. Dreimal in der Woche musste sie zur Dialyse, anstrengende, ermattende Tage. Sie besorgte sich Malspachtel und Acrylfarbe und begann mit feiner Technik die Landschaften ihrer Urlaubsinsel Mallorca zu malen. Als sie im letzten Sommer noch einmal auf der Insel waren und Freunde trafen, wusste sie wohl, dass es ihr letzter Urlaub sein würde, gesprochen hat sie darüber nicht. Der Pampelmusenbaum, den sie vor elf Jahren gepflanzt hatte, trug zum ersten Mal Früchte. Vier Stück erntete sie noch selbst, sie waren ungewöhnlich süß. Die übrigen Früchte am Baum waren noch nicht reif. Als sie wieder in Berlin waren, buchte sie noch einmal einen Flug, diesmal nur ein Ticket. Franz sollte zur Ernte dort sein. Sebastian Rattunde

Sebastian Ratt, e

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