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Von Hebammensuche bis Co-Sleepig - Mütter haben viele Themen. Doch welche davon könnten als Mobbing angesehen werden?

© Getty Images/SolStock

Guter Rat oder Mom-Shaming?: Mütter können unsolidarisch sein, so der Vorwurf

Seit Jahren kursiert der Vorwurf, viele Frauen mit Kindern würden ihresgleichen mobben. Meist geht es dabei um Ratschläge und Kommentare. Unsere Autorinnen haben dazu unterschiedliche Ansichten.

Auf dem Spielplatz, in der Krabbelgruppe und beim Abholen vor der Kita: Gelegenheiten, mit anderen Müttern ins Gespräch zu kommen, gibt es viele. Doch wie vorsichtig sollten Frauen mit Kindern sein, wenn es darum geht, eigene Erfahrungen zu teilen? Sind Mütter dabei oft zu unsolidarisch und unsensibel? Nur darauf bedacht, selbst gut dazustehen, ohne Rücksicht auf Verluste? Sollten sie sich öfter zurückhalten? Unsere Autorinnen sind da unterschiedlicher Meinung.

Nein, Ratschläge sind oft hilfreich, sagt Daniela Martens

Mom-Shaming ist ein Modebegriff, der seit Jahren kursiert, in Mütterforen, in Medienartikeln, Blog-Einträgen und Büchern. Er steht für etwas Schlimmes, das nur Frauen tun. Und zwar diese doofen Besserwisser-Mütter, die andere Frauen gern fertigmachen. Während Mütter sich scheinbar ständig gegenseitig mobben, scheint Dad-Shaming nicht zu existieren.

Die Botschaft ist also klar: „Halte Dich zurück, Mutti, gib keine ungefragten Ratschläge.“ Ich mag den Begriff nicht, denn er verkauft sich zu gut. Mom-Shaming sells – wer den Begriff verwendet, will an Klicks oder Büchern verdienen, und zwar auf Kosten von Müttern. So verfestigt sich das Klischee von den unsolidarischen Frauen.

Dabei brauchen wir Eltern (ja, auch Väter) doch Rat und Unterstützung, wenn wir durch die Geburt unseres ersten Kindes von einer Sekunde zur anderen in die schwierigste Aufgabe der Welt stolpern. Wenn Mütter nun Angst haben, den Mund aufzumachen, weil sie andere Mütter nicht shamen wollen, gehen auch gute Tipps verloren. Schließlich ist doch immer die Rede vom „Dorf“, das es braucht, um sich um ein Kind zu kümmern. Familien profitieren von den Erfahrungen anderer.

Mom-Shaming sells – auf Kosten von Müttern.

Daniela Martens, Redakteurin für die Familienseite und Mutter von zwei Kindern.

Der Bestseller „Ich dachte zu zweit muss man nicht alles selber machen“ der Autorinnen Lucinde Hutzenlaub und Heike Abadi ist eigentlich ganz kurzweilig zu lesen. Auch einige gute Tipps zu Mental Load und Carearbeit haben die beiden. Doch wie in so vielen Bestsellern, darf das Kapitel übers Mom-Shaming nicht fehlen: Eine fiktive Schwangere wird von ungebetenen Kommentaren anderer Mütter völlig verunsichert.

Die Nachbarin sagt ihr zum Beispiel, sie sei im vierten Monat Schwangerschaft spät dran mit der Hebammensuche. „Peng, das saß. Harmony spürt noch nicht einmal erste Kindsbewegungen, und dennoch hat sie als Mutter schon versagt. Das muss sie erst mal verdauen.“

Nein, nein und nochmals nein. Das ist kein Vorwurf des Versagens, das ist eine dringende und wichtige praktische Hilfe im Alltag, vor allem in Berlin, wo es fast einem Sechser im Lotto gleicht, wenn man eine Hebamme findet, die Zeit für die Nachsorge hat. Eine Beleghebamme, die auch noch bei der Geburt dabei ist, findet man zum Beispiel nur wenn man sofort nach dem Schwangerschaftstest loslegt mit der Suche.

Mehrere Seiten lang werden dann weitere „Beispiele“ aufgezählt, alle sehr unhöflich, widersprüchlich, nervig und verunsichernd. Aber wie gesagt: fiktiv. Das Fazit der Autorinnen: Sie könne dem Mom-Shaming einfach nicht entgehen. Und dann gibt es gute Tipps. wie Frauen dem begegnen können.

 Ich wusste meist, welche Mütter als Ratgeberinnen für mich infrage kamen und welche nicht.

Daniela Martens

Ich persönlich habe so etwas nicht erlebt. Ich erinnere mich aber an den einen oder anderen guten Ratschlag, etwa zum Thema Familienbett und Co-Sleeping, den ich von anderen Müttern bekommen habe, der wirklich geholfen hat. Und andere, etwa zum Thema „Schreien lassen“, die ich einfach überhört habe, ohne sie als „Shaming“ wahrzunehmen. Ich wusste meist, welche Mütter als Ratgeberinnen für mich infrage kamen und welche nicht.

Aber dann frage ich mich unsicher, ob ich selbst vielleicht schon als Mom-Shamerin wahrgenommen worden bin? Ich entwickle manchmal sehr viel Enthusiasmus, wenn ich andere an neu gefundenen Problemlösungen teilhaben lassen möchte. Und in meinen Jahren als Mutter habe ich viele neue Probleme lösen müssen. Ich entschuldige mich hiermit bei allen Eltern, denen ich zu nahe getreten sein sollte.

Ich habe nur einmal ein wirkliches „Shaming“ erlebt und zwar von einem Mann: Es sei doch ganz schön eklig, Kinder so lange zu stillen wie ich und das sei bestimmt auch schlecht für ihre Entwicklung. Peng, das saß. Eine Entschuldigung habe ich dafür natürlich nie bekommen.


Vergleiche bringen nur Unmut, meint Anna Pannen

Mein erstes Baby war ein Spuckkind. In den Wochen nach seiner Geburt türmten sich bei uns Berge nasser Strampler, Bodys und Mulltücher. Meine Hebamme sah den ständig vollen Wäscheständer und brachte uns einen Body mit. Er fasste sich anders an als unsere bisherigen, bestand aus Schurwolle und Seide. Dieser Body war ein wahres Wunderteil: Einmal nass gespuckt, musste man den Milchfleck nur mit einem nassen Waschlappen abtupfen und konnte ihn später wieder anziehen.

In der nächsten Größe besorgte ich unserem Baby vier Bodys und drei Strampler aus Wolle, das reichte als komplette Garderobe. Adieu Wäscheberge. Als ich dann noch las, dass Wollkleidung die Körpertemperatur ausgleicht, Babys darin also weder frieren noch schwitzen, war ich endgültig zum Woll-Fan geworden.

Wir vergessen zu oft, dass Umstände, Ressourcen und kindliche Charaktere in jeder Familie anders sind.

Anna Pannen, Autorin und Mutter von zwei Kindern.

Fortan verschenkte ich Wollkleidung zu jeder Geburt und berichtete allen Babymüttern ungefragt von den Vorteilen. So praktisch! Nachhaltig! Fair produziert! Okay, ein Wollbody kostet 25 Euro, aber dafür kann man ihn aber auch gut weiterverkaufen. Gut, die Dinger laufen schnell ein, aber Waschmaschinen haben doch ein Wollprogramm.

Als ich meine Freundin Kati mit ihrer Babytochter besuchte und minutenlang über Wollbodys redete, unterbrach sie mich zum Glück irgendwann. „Anna? Ich hab jetzt verstanden, wie toll Wolle ist. Können wir bitte über etwas anderes sprechen?“ Plötzlich wurde mir bewusst, dass selbst wenn eine Sache für mich nur Vorteile hat, das nicht heißen muss, dass es anderen auch so geht. Kati hat keinen Bock auf Handwäsche und Wollprogramm. Sie hat die Babykleidung ihrer Schwester bekommen, das ist ihr nachhaltig genug. Außerdem spuckt ihre Tochter nicht so viel.

Ist das ein Wollbody? Oder doch nur Baumwolle?

© imago/photothek

Seitdem halte ich mich mit Ratschlägen zurück, egal ob es um Ausstattung oder Erziehung geht. Denn es ist doch so: Dieses Kinderkriegen verschiebt unsere Perspektive. Vor Jahren sprach ich mit einer Wissenschaftlerin, die mir das Phänomen Mom Shaming damit erklärte, dass Frauen gesellschaftlich noch immer weniger Möglichkeiten haben als Männer, Anerkennung zu erleben. Klassisch weibliche Berufe etwa sind oft wenig angesehen.

Umso wichtiger werde es für viele, Anerkennung dort zu erlangen, wo es um als urweiblich geltende Fähigkeiten geht: Geburt, Stillen, Kinderausstattung und -erziehung. Frauen stünden unter Druck, all das super hinzukriegen. Dieser Druck bereite den Boden für Missgunst unter Müttern und verhindere solidarische Perspektiven.

Wir alle schütteln gelegentlich den Kopf, wenn wir beobachten, wie andere Eltern etwas vermeintlich falsch machen. Dabei vergessen wir aber, dass wir erstens immer nur einen kurzen Moment im Leben einer anderen Familie sehen. Dass zweitens Umstände, Ressourcen und nicht zuletzt kindliche Charaktere in jeder Familie anders sind. Und dass drittens Vergleichen und Abwerten verdammt nochmal niemandem hilft.

Ich erzähle nach wie vor gerne, wie ich bestimmte Dinge mit meinen Kindern mache. Aber nur, wenn mein Gegenüber das auch wissen will. Mit ungebetenen Ratschlägen halte ich mich zurück, gerade wenn es um Themen geht, bei denen ich einen wunden Punkt treffen könnte. Dafür sage ich anderen Eltern nun öfter, dass ich es toll finde, wie sie bestimmte Dinge lösen. Das hören wir nämlich alle viel zu selten.

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