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Berlin: Doritt Cadura-Saf (Geb. 1927)

Lärm störte sie. Wenn er von anderen gemacht wurde.

Viele konnten mit ihr überhaupt nichts anfangen: Viel zu laut, zu emotional.

Aber sie ist verlässlich und so treu, fanden jene, die sie besser kannten.

Es heißt, man stirbt so, wie man gelebt hat. Die einen machen sich nie Gedanken über den Tod. Die anderen bereiten sich ihr Leben lang darauf vor. Zu denen gehörte Doritt. In ihrem Leben schien manches planlos. Für den Tod aber war alles festgelegt. Saxofonklänge von Jan Garbarek sollten sie ans Grab geleiten.

Und dann war es still, so still wie in Doritts ganzem Leben nicht, als einer nach dem andern herantrat und eine Handvoll Sand auf den Sarg warf. Die Freunde, einer der drei Ehemänner, der Sohn.

Als es überstanden war, saßen alle im Café beisammen. Da kamen die Erinnerungen. Wie vor allem das Wort wichtig für sie gewesen war, sein Aufnehmen, Verwandeln, Einflechten. Dass sie lange Jahre als schlecht bezahlte Fremdsprachensekretärin den Lebensunterhalt verdienen musste. Dass ihr das eigene Schreiben oft geholfen habe.

Mit den Freunden in der Neuen Gesellschaft für Literatur hatte sie sich an Anthologien und Lesungen beteiligt. Da ging es mal um den Tod und auch mal ums Alter, umwerfend komisch: „Ach Frauchen, so alt und so besoffen.“

Über den Lärm schrieb sie die Kurzgeschichte „Der Schrei der Fische“. Lärm störte sie. Wenn er von anderen gemacht wurde. Ein Mensch voller Widersprüche – und in der Zeitschrift „Widerspruch“ veröffentlichte sie ihre Texte.

Weitere Erinnerungen, die aufkamen: wie sich im Alter durch eine Hauterkrankung, Rosacea, ihre Wangen rubinrot färbten und brannten. So sehr, dass sie auch in Gesellschaft mit nassen Stofffetzen ihr Gesicht kühlen musste. Ihre Augen glänzten und traten immer mehr hervor.

Stets hatte sie eine Thermosflasche bei sich, aus der sie alle paar Minuten trank. Man nahm an, es sei nicht bloß Tee darin gewesen.

Die Stellung der Frau in der Gesellschaft trieb sie um. Ihr Buch „Das unsichtbare Geschlecht. Frauen, Wechseljahre und Älterwerden“, erschienen 1983 bei Rowohlt, wurde mehrmals wieder aufgelegt und brachte ihr viel Anerkennung. Darin hieß es: „Ich weiß nicht, ob ich den Tod romantisiere, wenn ich ihn mir als den Höhepunkt meines Lebens denke, ... eine letzte und äußerste Erfahrung ... Nur eines will ich mir nicht vorstellen: allein im Badezimmer eines Krankenhauses zu sterben. Oder an die Apparaturen einer Intensivstation angeschlossen, um mein Sterben betrogen zu werden.“

Mit fast achtzig Jahren wurde sie ernstlich krank. Und dennoch schrieb sie weiter. Bei einer Geburtstagsfeier las sie aus ihrem letzten Manuskript, „Tschechischer Tango“, in dem es um die Erlebnisse einer Westberliner Journalistin mit PLO-Leuten geht. Dann setzte sie sich abseits und sang, nur für sich.

Ihre rauchige, noch kraftvolle Stimme ließ die Liebe zu Jazz und Blues ahnen. Früher hatte die kleine, gedrungene Frau, angetan mit Hippiekleid und großen Fingerringen, hingebungsvoll zur Rockmusik mit schönen jungen Männern getanzt. Ihr Kummer, nein, ihre Wut galt dem grau werdenden Haar.

Man fand sie am Freitag. Gestorben war sie am Dienstag. Allein, aber zu Hause. Die Freunde sollten nicht traurig sein, hatte sie gesagt. Das sind sie auch nicht. Sie haben Wichtigeres zu tun: einen Verlag für ihr letztes Buch zu finden. Maja Rehbein

Maja Rehbein

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