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Berlin: Die WG der widerspenstigen Alten

In einer Treptower Sieben-Zimmer-Wohnung wurde die Doku-Serie „Silver Girls“ gedreht. Die Darstellerinnen sind alle um die 70

Das Leben ist zu schade, um es mit Altwerden zuzubringen. Mechthild, Ursula, Herta, Roswitha und Ilka gelten als alt im Sinne der Rentenversicherung. Aber die „Silver Girls“, alle um die 70, leben nicht danach. Die Mädchen mit den silbergrauen Haaren sind finanziell unabhängig, verwitwet oder geschieden, kreativ, kommunikativ und vor allem experimentierfreudig. Obendrein haben sie eine WG gegründet. Das Ganze hat nur einen Konstruktionsfehler: Ihr Zusammenleben ist ein Spiel auf Zeit, eine Doku-Soap fürs Fernsehen. Das WG-Experiment wird scheitern.

Ursula Peters ist eine frohsinnige, schaffenskräftige Chaotin mit Tendenz zum Messietum. Vor langer Zeit war sie mal Kunsterzieherin am Gymnasium, aber dort fehlte ihr die Freiheit, täglich alles neu zu erfinden. Direkt vor ihrer Wohnung in Wedding drängt sich seit kurzem das klobige Viadukt der ICE-Trasse. Weiter unten entsteht eine neue Straße. Ursula beschreibt diesen brutalen Angriff auf ihre Privatsphäre so abgeklärt und nüchtern, dass sich die Zuschauer vor Lachen krümmen. Sie ist ein satirisches Naturtalent mit unbändigem Sprachwitz, radikaler Selbstironie und großer Schlagfertigkeit – ein Geschenk für jede Doku-Soap.

Dabei beteuert die Regisseurin Alice Agneskirchner, keine der Frauen zu etwas überredet zu haben, was sie nicht auch selbst wollten. Nur ist Ursula, die bald zur Hauptfigur wird, ein situativer Mensch, der extrem positiv auf Ungewohntes reagiert. Die Kamera spornt sie an, ihre tägliche Dosis Spaß am Risiko noch zu erhöhen. Ursula wird die WG sprengen, weil sie sich nicht anpassen kann und keine Antennen entwickelt für die Empfindlichkeiten ihrer Mitbewohnerinnen. Irgendwann steigt sie aus.

Die „Silver Girls“ ist keine Big-Brother-Neuauflage für die Zielgruppe Seniorinnen oder gar ein Remake der „Golden Girls“-Serie. Die Kamera ist nur dabei, wenn alle einverstanden sind. Regisseurin Agneskirchner sagt, die Idee zur Alten-WG sei ihr gekommen, als sie für ihren kranken Vater nach einer neuen Wohnform suchte. Sie entdeckte viele WG-Gründungsprojekte, aber fast alle scheiterten noch vor dem Start. Den Gründern fehlte die Leichtigkeit, ihre WG nur als Episode in einer weit geöffneten Zukunft zu begreifen. Auch am Anfang der Doku-Soap steht das Projekt kurz vor dem Aus. Zwei Kandidatinnen springen wieder ab. Nur Ursula, die Spielerin und Träumerin, macht weiter.

Etwa 100 Interessenten hatten sich für die Doku-Soap gemeldet, darunter nur sieben Männer. Das Casting war eine Gratwanderung. Die Kandidaten sollten eine „filmische Präsenz“ haben, sagt Agneskirchner, aber nicht das primäre Interesse, ins Fernsehen zu kommen. Das Filmprojekt Alten-WG wurde auf acht Wochen angelegt, sollte aber eine realistische Chance haben, auch danach in der Wirklichkeit zu überleben. Letzteres erwies sich als Illusion. Die Film-WG in der Treptower Sieben-Zimmer-Wohnung hatte einen doppelten Boden, der den Kandidatinnen den Rückzug in ihr altes Leben ermöglichte. „Am Wochenende bin ich in meine alte Wohnung, um mich zu erholen“, erzählt Ursula. Mechthild, die aus Hamburg kam, blieb allein in der WG zurück und schob Frust. Die Gemeinschaft fiel oft auseinander, wenn die Kamera nicht dabei war.

In Folge 2 werden die Sollbruchstellen schon sichtbar. Ursula belegt zu viel Platz mit ihrer ausgeprägten Leidenschaft für praktische Dinge. Die Badnutzung ist strittig. „Ihr seid doch auch bissig“, brummt Ursula und fängt gleich an zu lachen. Doch die Euphorie des gemeinsamen Neuanfangs ist schon verflogen.

Die „Silver Girls“ laufen auf Arte, vom 14. bis 18. Februar, jeweils 20.15 Uhr

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