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In der zweiten Etage der Leibnizstraße 69 soll sich die Wohnung befinden, deren Besichtigung am Montag eine über 150 lange Warteschlange auslöste. Die neuen Mieter können sich glücklich schätzen, sie haben nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern wohnen auch noch in einer Immobilie, die mal viral ging.

© Tobias Langley Hunt/TSP

Update

„So weit ist es gekommen, Berlin ist einfach zu voll“ : Der Kiez, in dem Menschen 150 Meter für eine Wohnung anstanden

Die Bilder einer 150 Meter langen Warteschlange vor einer freien Wohnung in Charlottenburg gingen viral. Der Fall steht exemplarisch für den angespannten Wohnungsmarkt.

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Am Karfreitag herrscht in der Kantstraße Katerstimmung. Der Himmel ist grau, es nieselt, vereinzelte Gestalten eilen zu trockeneren Zielen. An der Kreuzung Leibnizstraße passiert noch weniger: In der Apotheke brennt zwar Licht, die Tür ist aber verbarrikadiert. Am Eingang des verwaisten Corona-Testzentrums gegenüber, im Erdgeschoss eines Wohnhauses mit Baugerüst, prangt ein Schild: „Vorübergehend geschlossen“. Daneben reiht sich noch ein weiteres Wohnhaus und eine eingeschossige, ebenfalls geschlossene Karaokebar, dann kommt schon die S-Bahntrasse.

Anfang der Woche war hier mehr los. Das zeigen zumindest Bilder einer Warteschlange, die vormittags an der Karaokebar vorbei, durch den S-Bahnbogen hindurch, über 150 Meter bis in die angrenzende Niebuhrstraße reichte. Es handelte sich um eine öffentliche Wohnungsbesichtigung, die den angespannten Berliner Wohnungsmarkt offenbar so gut zusammenfasste, dass die Fotos hundertfach über die sozialen Medien geteilt wurden.

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Eine Frau um die 70 kommt an diesem Freitag hier vorbei. Sie gehe hier jeden Tag spazieren, bei Wind und Wetter. Unter ihrem gelben Regencape trägt sie eine beeindruckende Hochsteckfrisur. Am vergangenen Montag hat sie bei ihrem Spaziergang die Schlange gesehen, sei verwundert gewesen: „Das gibt es sonst nur auf der Kantstraße“, sagt sie vorwurfsvoll.

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„Abends, da stehen die jungen Leute immer vor den Restaurants an.“ Dass es sich bei dieser Schlange um eine Wohnungsbesichtigung handelte, wusste sie bis jetzt nicht. „So weit ist es also schon gekommen, Berlin ist einfach zu voll“, sagt sie kopfschüttelnd und geht ihres Weges.

Das Gefühl, dass Berlin einfach zu voll ist, treibt wohl viele Menschen um. Maria J. ist Ende 20 und hat kürzlich ihr Studium abgeschlossen. Lange hat sie in Charlottenburg, eigentlich in ganz Berlin, nach einer kleinen, bezahlbaren Wohnung gesucht. Auf den üblichen Portalen hat sie in gut zwei Monaten rund 250 Wohnungsinserate angeschrieben.

Zu 16 Besichtigungen wurde sie eingeladen und sechs davon seien „Sammelbesichtigungen“ gewesen, sagt sie. Im Fünf-Minuten-Takt wurden kleinere Grüppchen in das Objekt gelassen. Die Makler:innen standen davor und machten nichts weiter, als den Interessent:innen einen Wisch in die Hand zu drücken.

Drei Zimmer, 74 Quadratmeter, 1074 Euro warm

Aus dem Haus, in dem sich die freie Wohnung befindet, die Nummer 69, tritt ein junger Mann mit Dackel auf die Straße. Ein Freund von ihm wohne in dem Haus. Von der Besichtigung hätte er auch nur aus dem Internet erfahren. Das Haus sei eigentlich ganz normal, sagt er, er könne sich aber vorstellen, dass der Andrang deshalb so groß war, weil die Besichtigung öffentlich war und der Preis der Wohnung relativ günstig.

Mit drei Zimmern, auf rund 74 Quadratmetern für 1074 Euro warm, war die Wohnung auf dem Portal „Immoscout“ ausgeschrieben gewesen. Der „B.Z.“ erzählte die zuständige Hausverwaltung „Trusthouse Group“, dass die Wohnung am Donnerstag vergangener Woche inseriert wurde. „Nach einer Stunde gab es schon über 600 Anfragen.“ Die Besichtigung startete dann am Montag um 12.30 Uhr und musste nach nur einer Stunde abgebrochen werden. Viele der Anstehenden hätte die Wohnung nicht mal gesehen.

„Bezahlbare Wohnungen in City-Lage sind absolute Mangelware“

Der mietenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schenker, fordert angesichts des angespannten Wohnungsmarkts ein Pradigmenwechsel. „In der Innenstadt sollte nur noch der Bau von Sozialwohnungen genehmigt werden“, sagte Schenker dem Tagesspiegel.

„Wer angesichts der dramatischen Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht alle Instrumente, zu der auch die Vergesellschaftung von Konzernen gehört, ergreifen möchte, trägt mit dazu bei, dass sich die Lage absehbar verschlimmern wird.“ Bereits zuvor hatte Schenker die Ankündigung von CDU und SPD, ein Rahmengesetz für Vergesellschaftungen zu erarbeiten, als „Verschleppung ohne Umsetzungsperspektive“ bezeichnet.

„Bezahlbare Wohnungen in City-Lage sind absolute Mangelware“, sagte Schenker. „Berlin steuert auf eine Wohnungsnotlage zu, wenn die nicht sogar schon da ist.“ Das würden auch die erschreckend langen Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen deutlich machen. „Wir brauchen energisches Eingreifen in den Wohnungsmarkt, damit durch Mietsteigerungen nicht noch mehr leistbare Wohnungen unbezahlbar werden“, sagte Schenker.

Maria J. hat inzwischen eine Wohnung gefunden, sogar in dem Kiez, in dem sie zuvor lebte. Das habe sie aber nur geschafft, weil sie selbstständig Aushänge in Hinterhöfen verteilt habe. Sie weiß nicht, ob das ein Tipp für jede:n ist, auf ihrem Aushang stand „angehende Lehrerin, sucht ruhiges Zuhause“. Sie wäre bestimmt nicht zu Besichtigungen eingeladen worden, weil sie so ein gutes Einkommen habe, sondern vielmehr, weil ihre Vita gerade irgendwie passte. Bei den nicht öffentlichen Besichtigungen musste sie feststellen, dass viele der Interessenten ihr ähnelten.

Ein Inserat mit öffentlicher Besichtigung wäre ihr während ihrer Suche nur einmal untergekommen und das wurde nach zehn Minuten wieder offline genommen. Als sie dann zum angegebenen Zeitpunkt die angegebene Adresse aufsuchte, hieß es, die Wohnung sei schon längst vermietet.

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