zum Hauptinhalt

Berlin: Boxer mit Kick

Oktay Urkal hat das Schlagen zum Beruf gemacht. Doch privat setzt er sich für ein Anti-Gewalt-Projekt ein

Zu ihm blicken sie auf. Oktay Urkal gilt als Idol – für die Jugendlichen aus Einwandererfamilien, die in den so genannten Problemkiezen der Stadt zu Hause sind. Der Profi-Boxer ist einer von ihnen: Ein Deutsch-Türke, aufgewachsen mit fünf Geschwistern in Schöneberg. Seine Familie stammt aus einem kleinen anatolischen Dorf. Die Mutter hat sich als Putzfrau den Rücken krumm gebuckelt.

Sie bewundern ihn, weil er es nach oben geschafft hat: Er wurde mehrmals Europameister und hat einigermaßen viel Geld verdient. Aber auch er ist nicht perfekt. „Klar, hab’ ich mich früher auch mal auf der Straße geprügelt und ein Fahrrad geklaut“, sagt der 35-Jährige. „Aber ich bin nie in eine kriminelle Karriere abgerutscht – da bin ich auch richtig froh.“

Das erzählt der Vater eines fünfjährigen Sohnes und einer neun Monate alten Tochter den Jugendlichen, wann immer er sie trifft. Wie an diesem Januarnachmittag, als Urkal als „Promi“-Gast den Weddinger Standort des „Kick“-Projektes besucht hat. „Kick“ ist ein Anti-Gewalt-Projekt der Berliner Polizei und der Sportjugend Berlin.

Die Jugendlichen von der Straße wegzubringen, so dass sie nicht in eine kriminelle Karriere abrutschen – das ist das Hauptziel der „Kick“-Mitarbeiter. An den acht Standorten des Projektes in Berlin, die sich meist in Jugendfreizeitheimen befinden, können die Jugendlichen Sport treiben, Fahrräder reparieren oder sich an Computern austoben. „Hauptsache, sie setzen hier ihre Energie unter Anleitung von Sozialarbeitern ein statt auf der Straße, wo sie andere verprügeln oder mutwillig Gegenstände zerstören“, sagt der Initiator des „Kick“-Projektes, der pensionierte Kripo-Beamte, Achim Lazai. Im Grunde erzählt Oktay Urkal den Jungen vom „Kick“-Projekt nichts anderes als die Sozialarbeiter. „Aber wenn Oktay spricht, hat das auf die Jugendlichen eine ganz andere Wirkung“, schwärmt Lazai. Er plant, den Boxer mehrere Male im Jahr in die „Kick-Standorte“ einzuladen. „Sie achten Oktay regelrecht, das sehen wir immer wieder, wenn er uns besucht.“

Oktay Urkal schaut den „Kick“-Initiator verlegen an. Dann sagt der Sportler: „Es berührt mich sehr, was Sie da erzählen.“ Egal, sagt Urkal, wo er hinkomme: Das Erste, was die Jugendlichen von ihm wissen wollten, sei: „Ey, Oktay, wie hast du das alles geschafft?“ Und dann erzählt der Profi-Sportler ihnen, dass er sich durchgekämpft habe. „Ich habe schon als Zehnjähriger mit dem Boxen angefangen und hart trainiert. Ich habe nie geraucht, keine Drogen genommen und trinke so gut wie keinen Alkohol“, zählt Urkal auf. Höchstens Bier, aber nur ganz selten und auch nur eines: „Mehr vertrage ich auch nicht.“ Urkal gehe es nicht nur darum, den Jugendlichen klar zu machen, dass Drogen nur Ärger bringen. Auch die Bedeutung von „Respekt und Fairness“ wolle er ihnen, die oftmals schon straffällig geworden sind, beibringen. „Im Boxring darfst du zuhauen, aber du musst dich an Regeln halten“, sagt er. „Man schlägt sich über Runden, und am Ende umarmt man sich.“ Aber außerhalb des Boxringes sei es für ihn tabu, sich zu prügeln, um anderen seine Macht zu beweisen.

Früher hat Oktay Urkal mit seinem Bruder im gleichen Trainingszentrum geboxt wie die Brüder Graciano und Ralf Rocchigiani. „Manchmal haben wir die Rocchigianis sogar im Auto mitgenommen, weil wir alle in Schöneberg wohnten.“ Doch Profiboxer Graciano Rocchigiani hält sich nicht an die Fairness-Regeln. Erst kürzlich hat er einen Taxifahrer verprügelt. Der „Kick-Initiator“ seufzt: Nein, „Rocky“, sei im Gegensatz zu Oktay überhaupt nicht als Identifikationsfigur für die Jugendlichen geeignet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false